Die Räuberbraut
zu sein dasselbe, was sie schon mal für mich gemacht haben, mehr oder weniger. Dieselbe Frau. Ja, ich weiß, daß sie tot ist. Das heißt, sie war tot, aber jetzt ist sie es nicht mehr. Ich hab sie gesehen! Im Toxique...«
»Ich hab nicht die leiseste Ahnung. Deshalb müssen Sie ja ran!«
»An Ihrer Stelle würde ich mir als erstes die Hotels vornehmen, aber Sie können nicht davon ausgehen, daß sie ihren eigenen Namen benutzt. Aber das wissen Sie ja.«
»Ich schick Ihnen das Foto per Boten. Finden Sie sie einfach. Finden Sie heraus, was sie vorhat. Mit wem sie sich trifft. Alles! Was sie zum Frühstück ißt. Sie wissen ja, wie neugierig ich bin.«
»Die Rechnung bitte an mich persönlich. Danke. Sie sind ein Schatz. Wir essen mal zusammen!«
Roz hängt ein. Eigentlich müßte sie sich jetzt besser fühlen, tut es aber nicht, sie ist zu aufgedreht. Jetzt, wo sie die Sache in Bewegung gebracht hat, kann sie es kaum erwarten, die Ergebnisse zu sehen, denn solange sie nicht genau weiß, wo Zenia ist, könnte Zenia überall sein. Sie könnte genau in diesem Augenblick vor Roz’ Haus stehen, sie könnte durch ein Fenster einsteigen, einen Sack über der Schulter, um die Beute abzuschleppen. Welche Beute? Das ist die Frage! Roz hätte nicht übel Lust, selbst loszuziehen und die Runde zu drehen, ihr kostbares Hochglanzfoto unter dem Arm von Hotel zu Hotel zu schleichen, zu lügen, Andeutungen fallenzulassen, die Leute an der Rezeption zu bestechen. Sie ist ungeduldig, sie ist gereizt, sie ist rastlos, ihre Haut kribbelt vor Neugier.
Oder sind es die Wechseljahre, wäre das zur Abwechslung nicht mal nett? Vielleicht erlebt sie ja diesen Schub von Energie und joie de vivre, von dem alle immer reden. Überfällig wäre er ja.
Aber vielleicht sind das hier auch keine tobenden Hormone. Vielleicht ist es die Sünde. Eine der Sieben Todsünden, oder vielmehr zwei von ihnen. Die Nonnen hatten es immer mit der Wollust, und in letzter Zeit hat Roz gedacht, daß die Gier vielleicht diejenige ist, auf der ihr eigener Name steht. Aber hier kommt der Zorn, der sie blind macht; und der Neid, die schlimmste von allen, ihr alter Vertrauter, in der Gestalt Zenias, lächelnd und triumphierend, eine von innen leuchtende Venus, die keiner Muschel, sondern einem siedenden Hexenkessel entstiegen ist.
Sei ehrlich, Roz, du bist neidisch auf Zenia. Das warst du schon immer. Neidisch bis zum Gehtnichtmehr. Stimmt, Gott, und jetzt? Jesus Christus, was soll ich machen? Auf die Knie! Übe Demut! Kasteie deine Seele! Schrubb das Klo!
Wie lange muß ich denn noch leben, bis ich diesen Schrott endlich los bin, denkt Roz. Diesen seelischen Plunder. Sie wird heute früher nach Hause gehen, eine Kleinigkeit essen, sich einen kleinen Drink mixen, sich ein Bad einlaufen lassen, etwas von dem Zeug reintun, mit dem Charis sie ständig überschüttet, aus diesem komischen Spinner-Laden, in dem sie arbeitet. Zerbröselte Blätter, getrocknete Blüten, exotische Wurzeln, muffige Heuwiesendüfte, Schlangenöl, Maulwurfsknochen, uralte Rezepte, gebraut von amtlich beglaubigten Hutzelweibern. Nicht, daß Roz etwas gegen Hutzelweiber hätte. Schließlich wird sie bei dem Tempo, das sie vorlegt, bald selbst eins sein.
Es wird dich entspannen, sagt Charis, aber du mußt dazu beitragen, Roz. Du darfst nicht dagegen ankämpfen. Du mußt dich davon tragen lassen. Leg dich zurück. Laß dich treiben. Stell dir einen warmen Ozean vor.
Aber jedes Mal, wenn Roz das versucht, kommen die Haifische.
Schwarzes Emaille
17
Geschichte wird immer im Rückblick geschrieben, schreibt Tony. Wir wählen ein signifikantes Ereignis aus und untersuchen seine Ursachen und Folgen, aber wer entscheidet, ob das Ereignis signifikant ist? Wir. Aber wir sind hier; während das Ereignis selbst, und alle, die an ihm beteiligt waren, dort sind. Sie sind tot; gleichzeitig aber sind sie in unserer Hand. Wie die römischen Gladiatoren sind sie abhängig von unserem Daumen. Wir zwingen sie dazu, ihre Kämpfe zu unserer Erbauung und unserem Vergnügen immer wieder neu auszutragen, obwohl sie einst aus gänzlich anderen Gründen ausgefochten wurden.
Dennoch ist die Geschichte kein echtes Palindrom, denkt Tony. Wir können sie nicht wirklich zurückspulen, bis wir wieder an einem sauberen Anfang stehen. Zu viele Puzzleteile sind in der Zwischenzeit verlorengegangen; außerdem wissen wir zuviel, wir wissen, wie die Sache ausgeht. Historiker sind die sprichwörtlichen Voyeure, die
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