Die Räuberbraut
»Lookmakers« in Erwägung zieht. Er hält das Foto zwischen Daumen und Zeigefinger, als wäre es verseucht, und spitzt die Lippen. »Die Bark’, in der sie saß, ein Feuerthron, et cetera«, sagt er. »Brigade der Lederstrapse, würd ich sagen. Peitschen und Ketten, und dazu viel zu dick aufgetragen; ich meine, diese Haare sehen wie eine Perücke aus. Definitiv nicht die Neunziger, Mrs. Andrews. Längst überholt, und finden Sie nicht, daß sie für unsere Zielgruppe ein kleines bißchen zu alt ist?«
Roz könnte heulen vor Erleichterung. Dabei hat Boyce natürlich unrecht; was immer Zenia besaß, was immer ihren Zauber ausmachte, es hatte mehr Bestand als ein Gesicht-des-Monats. Aber sie liebt ihn für das, was er gerade gesagt hat. »Boyce«, sagt sie, »Sie sind ein Juwel.«
Boyce lächelt. »Ich geb mir alle Mühe«, sagt er.
15
Roz parkt den Benz auf einem Parkplatz an der Queen und hofft, daß niemand ihr die Reifen aufschlitzen, den Kofferraum aufbrechen oder ihren schönen, frisch polierten dunkelblauen Lack zerkratzen wird, während sie beim Lunch ist. Sicher, es ist hellichter Tag, der Wagen steht auf einem bewachten Parkplatz, und das hier ist nicht New York. Aber alles wird immer schlimmer, und noch während sie dabei ist, die Tür abzuschließen, ist sie sich eines Dutzends schattenhafter Gestalten vorne auf dem Bürgersteig bewußt, zusammengeduckter, stoffumhüllter Gestalten, die sie mit ihren vor Unterernährung rotgeränderten Augen abschätzend mustern und herauszufinden versuchen, ob es sich lohnt, sie anzuhauen.
Es sind die Herzen, die Augen, die Nieren und die Lebern, bloß auf einer elementareren Ebene. Sie hat immer einen Packen rosafarbener Zweidollarscheine in ihrer Jackentasche parat, so daß sie nicht einmal ihren Schritt verlangsamen muß, um ihre Handtasche zu öffnen. Sie wird die Scheine nach rechts und links verteilen, während sie den Spießrutenlauf von hier zum Toxique hinter sich bringt. Geben macht selig, hat ihr Vater immer gesagt. Ist Roz derselben Meinung? Haben Hühner Lippen? Geben ist dieser Tage nur noch eine Last, weil es einem nichts mehr einbringt, es erkauft einem nicht einmal ein kratzerfreies Auto, und wieso nicht? Weil die, denen man gibt, einen hassen. Sie hassen einen, weil sie einen bitten müssen, und sie hassen einen, weil man in der Lage ist, zu geben. Oder aber es sind richtige Profis, und dann verachten sie einen, weil man ihnen glaubt, weil man Mitleid mit ihnen hat, weil man so ein gutgläubiger Trottel ist. Was passierte eigentlich mit dem barmherzigen Samariter? Nachdem er den Mann gerettet hatte, der unter die Räuber gefallen war, ihn aus dem Straßengraben gefischt hatte, ihn nach Hause geschleppt hatte, ihm Suppe eingeflößt und im Gästezimmer untergebracht hatte? Der arme, dämliche Samariter wachte am nächsten Morgen auf und mußte feststellen, daß sein Safe aufgebrochen, sein Hund erwürgt, seine Frau vergewaltigt, die goldenen Kerzenhalter verschwunden und der Teppich vollgeschissen war, denn die Wunden waren nur aufgeklebt, und das Blut war künstlich gewesen. Eine abgekartete Sache.
Plötzlich hat Roz einen Flashback, der von Zenia handelt. Zenia steht auf der Treppe vor dem Haus; dem Haus von Roz und Mitch, nach einer jener Dinnerparties in den frühen achtziger Jahren, als Roz Zenias Nummer noch für bare Münze hielt, sie noch förderte, sie noch in ihr Haus einlud. Zenia, in einem eng anliegenden roten Kostüm mit ausladenden Schultern und einer taillierten Jacke, deren Schößchen die Wölbung ihres straff umhüllten Pos betonte; Zenia in Pfennigabsätzen, eine Hüfte vorgeschoben, eine Hand auf dieser Hüfte. Sie war nur ein ganz kleines bißchen beschwipst; genau wie Roz. Zenia küßte Roz auf die Wange, weil sie so gute Freundinnen waren, so prima Kumpaninnen und Genossinnen, und bedachte den armen, unglückseligen Mitch, dessen Unglückseligkeit Roz jedoch stupiderweise nicht erkannte, mit einem mutwilligen Lächeln. Dann drehte sie sich um, um die Treppe hinunterzugehen und hob die Hand zu einer Geste, die auf merkwürdige Weise an einen General in den Fernsehnachrichten erinnerte, der grüßend die Parade abnahm, und was war es noch mal, was sie in diesem Augenblick sagte? Scheiß auf die Dritte Welt! Ich kann es einfach nicht mehr hören!
Soviel zu den Konventionen. Soviel zur guten, alten, ernsthaften Roz mit ihren spießigen, öden Wohltätigkeitsveranstaltungen, ihren Almosen an die Vergewaltigten Mami s und die
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