Die Räuberbraut
Sorrent, verfolgt eine Gruppe von Nelken eine kleinere Gruppe fliehender grüner Pfefferkörner: die Teutonen wollen sich die Sarazenen schnappen, das jedenfalls ist ihre Absicht. Das Monopoly-Männchen zwischen den Nelken ist Otto II. – der hitzköpfige, brillante Otto, Otto der Rote, der deutsche Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Immer weiter reiten Otto und die Nelken, zwischen der gleichgültigen See und den faltigen, ausgedörrten Bergen, schwitzend unter der gleißenden Sonne; sie sind aufgeputscht vom Adrenalin, berauscht von der Aussicht auf Blutvergießen und Beute, trunken in der Gewißheit ihres bevorstehenden Sieges. Wenn sie wüßten.
Tony weiß. Hinter den Falten aus trockener Erde und Steinen, allen Blicken verborgen, liegt eine große Streitmacht sarazenischer Pfefferkörner im Hinterhalt. Das kleine Grüppchen fliehender grüner Pfefferkörner, die im Vordergrund davonstieben, ist nur ein Köder. Es ist der älteste Trick der Welt, und Otto ist darauf hereingefallen. Bald werden seine Männer von drei Seiten angegriffen werden, und auf der vierten ist das Meer. Sie werden allesamt getötet werden, oder doch die meisten; oder ins Meer getrieben, wo sie ertrinken werden, oder sie werden schwer verletzt davonkriechen und verdursten. Einige von ihnen werden gefangengenommen und als Sklaven verkauft werden. Otto selbst wird nur mit knapper Not mit nichts als dem nackten Leben davonkommen.
Kehr um, Otto , denkt Tony. Sie mag ihn, er gehört zu ihren Lieblingen; außerdem tut er ihr leid, weil er an diesem Morgen, bevor er zu dieser unglückseligen Expedition aufbrach, Streit mit seiner Frau hatte, was vielleicht der Grund für seinen Leichtsinn ist. Im Krieg sollte man einen kühlen Kopf bewahren. Otto , kehr um! Aber Otto kann sie nicht hören, und er kann die Welt nicht von oben sehen, so wie sie. Wenn er wenigstens Späher ausgeschickt hätte, wenn er wenigstens gewartet hätte! Aber auch warten kann tödlich sein. Genau wie umkehren. Wer wegläuft, kriegt zumindest eine zweite Chance - oder einen Speer in den Rücken.
Schon ist Otto zu weit vorgedrungen. Schon senkt sich die große Pinzette vom Himmel herab. Die grünen Pfefferkörner springen hinter den heißen Felsen auf, reiten aus ihren Verstecken hervor und nehmen an der ausgedörrten Küste die Verfolgung auf. Tony fühlt sich schrecklich, aber was kann sie schon tun? Sie ist hilflos. Es ist zu spät. Es war schon vor tausend Jahren zu spät. Tony kann nichts mehr tun, sie kann nur den Strand besuchen. Das hat sie getan, sie hat die heißen, trockenen Berge gesehen, sie hat eine kleine, stachelige Blume für ihr Album gepreßt. Sie hat ein Souvenir gekauft: ein aus Olivenholz geschnitztes Salatbesteck.
Gedankenverloren nimmt sie eine von Ottos gefallenen Nelken, taucht sie in ihr Wasserglas, um eventuelle Spuren von Haarspray zu entfernen, und steckt sie sich in den Mund. Es ist eine schlimme Gewohnheit von ihr, Teile der Armeen auf ihrer Karte aufzuessen; zum Glück gibt es in den Gläsern auf dem Gewürzregal in der Küche immer Nachschub. Aber auch die toten Soldaten wären aufgegessen worden, auf die eine oder andere Weise; oder wenigstens zerstückelt, ihre Habseligkeiten verteilt. Das ist das Schlimme am Krieg: die Formalitäten bleiben auf der Strecke, und es gibt viel weniger Beerdigungen als Todesfälle. Schon machen die Sarazenen den Verwundeten den Garaus, eine Gnade unter den gegebenen (arztlosen, wasserlosen) Umständen, und nehmen ihnen die Rüstungen und die Waffen weg. Schon warten die leichenfleddernden Bauern darauf, auch an die Reihe zu kommen. Schon haben die Geier sich versammelt.Es ist zu spät für Otto, aber was ist mit ihr? Wenn sie eine zweite Chance gehabt hätte, eine zweite Gelegenheit, einen zweiten Anfang, mit Zenia, hätte sie sich anders verhalten? Sie weiß es nicht, weil sie zuviel weiß, um zu wissen.
18
Tony war die erste von ihnen, die sich mit Zenia anfreundete; oder vielmehr, sie war die erste, die Zenia einließ, denn Menschen wie Zenia können nicht einfach durch deine Tür kommen, sie können nicht eintreten und sich in deinem Leben einnisten, wenn du sie nicht dazu aufforderst. Es muß ein Erkennen geben, ein Anbieten von Gastfreundschaft, ein Wort der Begrüßung. Das hat Tony inzwischen erkannt, auch wenn sie es damals nicht wußte. Die Frage, die sie sich heute stellt, lautet schlicht und ergreifend: Warum hat sie es getan? Was war an ihr, und an Zenia, das diese Sache nicht nur
Weitere Kostenlose Bücher