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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Zimmer. Es war kein richtiger Sex, nicht am Anfang. Nur ’ne Menge Begrabscherei. Klebrige Finger. Den großen Knall sparte sie sich auf, bis ich das war, was sie erwachsen nannte. Elf, zwölf... ich glaub, sie hat dabei ganz gut abgesahnt, obwohl die meisten dieser Männer nun wirklich nicht das waren, was man als stinkreich bezeichnen würde. Schäbiger Kleinadel, Leute, die jeden Pfennig dreimal umdrehten, aber mit ein bißchen was auf der hohen Kante oder irgendeinem zwielichtigen Geschäft. Sie hatten alle mit dem Schwarzmarkt zu tun, sie fischten alle im trüben, sie lebten in der Kanalisation, im Untergrund, verstehst du? Wie Ratten. Sie hat mir für den besonderen Anlaß sogar ein neues Kleid gekauft, auch auf dem Schwarzmarkt, könnte ich mir denken. Und ich erlebte mein Debüt auf dem Teppich im Wohnzimmer – sie erlaubte ihnen nie, das Bett zu benutzen. Sein Name war Major Popow, ob du es glaubst oder nicht, genau wie eine Figur aus Dostojewski, und er hatte eine braun verkrustete Nase, vom Schnupftabak. Er zog nicht mal die Hose aus, so eilig hatte er es. Ich starrte die ganze Zeit auf die gestickten Rosen auf diesem verdammten Tuch. Ich bot den Schmerz Gott dar. Es war schließlich nicht so, als hätte ich aus Spaß gesündigt! Ich war damals sehr religiös; orthodox, natürlich. Sie haben immer noch die besten Kirchen, findest du nicht? Ich hoff, sie hat dem alten Popow gehörig was abgeknöpft. Manche Männer würden auf ’ne Menge Mahlzeiten verzichten, für eine Jungfrau.«
    Zenia erzählt diese Geschichte, als sei sie nur eine belanglose Episode, und Tony hört wie gebannt zu. Sie hat so etwas noch nie gehört. Korrektur: sie hat von diesen Dingen gehört, mehr oder weniger, aber nur aus Büchern. Derart barocke, derart komplizierte europäische Dinge passieren keinen wirklichen Leuten, keinen Leuten, die sie kennen könnte. Aber woher will sie das wissen? Vielleicht passieren diese Dinge überall um sie herum, bloß sieht sie sie nicht, weil sie nicht weiß, wo sie nach ihnen Ausschau halten soll. Zenia wüßte es. Zenia ist älter als Tony, nicht so sehr in Jahren, aber in anderer Hinsicht ist sie viel älter. Neben Zenia ist Tony ein Kind, ahnungslos wie ein Ei.
    »Du mußt sie gehaßt haben«, sagt Tony.
    »O nein«, sagt Zenia ernst. »Das kam erst später. Sie war sehr nett zu mirl Als ich klein war, kochte sie mir immer was Besonderes. Sie wurde nie laut. Sie war wunderschön anzusehen, sie hatte lange, dunkle Haare, die sie zu Zöpfen flocht und um ihren Kopf wickelte, wie eine Heilige, und große, kummervolle Augen. Ich schlief immer neben ihr unter ihrem großen, weißen Federbett. Ich liebte sie, ich betete sie an, ich hätte alles für sie getan! Ich wollte nicht, daß sie so traurig war. Auf diese Weise kam sie damit durch.«
    »Wie schrecklich«, sagt Tony.
    »Ach«, sagt Zenia, »wen interessiert das schon? Und außerdem ging’s nicht nur um mich – sich selbst vermietete sie auch. Sie war eine Art Billig-Mätresse, nehm ich an. Für Männer, die schon bessere Zeiten gesehen hatten. Aber nur Russen, und niemand unter dem Rang eines Majors. Sie hatte ihre Prinzipien. Sie half ihnen, den Schein zu wahren, und sie halfen ihr. Aber sie war in bezug auf Sex kein großer Erfolg, vielleicht, weil sie keinen wirklichen Spaß daran hatte. Sie zog es vor, zu leiden. Die Männer wechselten ziemlich häufig. Außerdem war sie oft krank. Sie hustete, genau wie in einer Oper! Blut im Taschentuch. Ihr Atem roch immer schlechter, und sie benutzte ’ne Menge Parfüm, wenn sie es sich leisten konnte. Ich nehm an, es war Schwindsucht, daran ist sie auch gestorben. Was für’n kitschiger Tod!«
    »Du hast Glück, daß du dich nicht angesteckt hast«, sagt Tony. Das alles klingt so archaisch. Das gibt es doch gar nicht, daß jemand die Schwindsucht hat, oder? Die Krankheit ist doch ausgestorben, wie die Pocken.
    »Ja, nicht wahr?« sagt Zenia. »Aber als sie endlich abkratzte, war ich schon lange weg. Als ich älter wurde, hab ich sie nicht mehr geliebt. Ich machte den größten Teil der Arbeit, und sie behielt das meiste Geld, es war einfach nicht fair! Und ich konnte es nicht mehr hören, wie sie hustete und sich nachts in den Schlaf weinte. Sie war so ohne jede Hoffnung; außerdem glaub ich, daß sie dumm war.
    Also lief ich weg. Wahrscheinlich war das gemein von mir; sie hatte damals niemanden mehr, keinen Mann. Nur mich. Aber es war ein Fall von sie oder ich. Ich mußte mich

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