Die Räuberbraut
und verzierten Plätzchen. Die Armut hindert sie am Eintreten. Diese Dinge sind für andere Leute da; nicht für sie.
Aber Zenia scheint sich dessen bewußt zu sein – scheint sich Tonys Alleinsein bewußt zu sein, ihrer verlorenen Sehnsucht – und überspielt die Situation. Sie ist sehr rücksichtsvoll. Sie lenkt ab, sie tut und macht, sie spricht fröhlich von anderen Dingen. Kochrezepten, Hintertürchen, Tricks und Kniffen: sie hat nicht umsonst so lange von der Hand in den Mund gelebt, sie verfügt über einen großen Vorrat an nützlichen Fertigkeiten. Das Geheimnis der Rühreier, zum Beispiel, ist frischer Kerbel und frischer Schnittlauch – sie hat mehrere Blumentöpfe mit Kräutern auf der Fensterbank – und ein paar Tropfen Wasser, und eine ganz kleine Flamme; das Geheimnis des Kaffees ist die Kaffeemühle, eine hölzerne Kaffeemühle, mit einem Griff zum Drehen und einer entzückenden kleinen Schublade zum Herausziehen.
Zenia ist voller Geheimnisse. Sie lacht, sie wirft mit ihren Geheimnissen beiläufig um sich, ihre Zähne blitzen weiß; sie zieht weitere Geheimnisse aus dem Ärmel und holt sie hinter ihrem Rücken hervor, sie schlägt sie auf wie Ballen seltenen Tuches, zeigt sie her, läßt sie flattern wie die Schals einer Zigeunerin, schwenkt sie wie Banner, häuft sie zu einem glitzernden, verschwenderischen Gewirr. Wer könnte, wenn sie in einem Zimmer ist, die Augen auf etwas anderes richten?
Tony und West tun es, sie sehen sich an – nur einen kurzen Augenblick als Zenia ihnen den Rücken zudreht. Sie sehen sich traurig an, ein wenig beschämt. Sie sind in ihrem Bann , das ist es. Sie wissen, daß sie nicht mehr in aller Ruhe nachmittags ein Bier trinken können. Jetzt ist es Zenia, die sich Tonys Notizen für Geschichte der Neuzeit ausborgt. West hat natürlich auch etwas davon, aber erst aus zweiter Hand.
Einmal hat Tony vergessen, sich in der McClung Hall abzumelden und ist dann zu lange bei Zenia hängengeblieben. Es endete damit, daß sie die Nacht auf dem Fußboden von Zenias Wohnzimmer verbrachte, in eine Decke gewickelt, mit Zenias und Wests und ihrem eigenen Mantel als Matratze. Am nächsten Morgen in aller Frühe begleitete West sie zurück zur McClung Hall und half ihr auf die unterste Plattform der Feuerleiter, die sie allein nicht hätte erreichen können.
Es war verwegen, die ganze Nacht wegzubleiben, aber sie möchte das Erlebnis nicht wiederholen. Zum einen war es zu demütigend, in der Straßenbahn und dann in der U-Bahn neben West zu sitzen und nicht zu wissen, was sie zu ihm sagen sollte, und dann von ihm hochgehoben und auf der Plattform der Feuerleiter abgesetzt zu werden wie ein Paket. Zum anderen machte es sie zu unglücklich, draußen vor dem Schlafzimmer zu schlafen und zu wissen, daß die beiden da drin waren.
Sie schlief sowieso nicht. Sie konnte nicht, wegen der Geräusche. Dichte Geräusche, unbekannte Geräusche, tiefgründige Geräusche, mit Haaren bewachsen und mit Rüsseln versehen, wurzelähnliche, schlammige, heiße und wäßrige Geräusche von unter der Erde.
»Ich glaub, deine Mutter war eine Romantikerin«, sagt Zenia wie aus heiterem Himmel. Sie rührt Teig an, für die langues de chat, die sie machen will; Tony sitzt am Tisch und kopiert ihre eigenen Geschichtsnotizen für Zenia, die wie gewöhnlich keine Zeit hat. »Ich glaub, sie war auf der Suche nach dem vollkommenen Mann.«
»Das glaub ich nicht«, sagt Tony. Sie ist ein bißchen konsterniert: sie hatte gedacht, die Akte ihrer Mutter sei geschlossen.
»Sie klingt, als hätte sie gerne gelacht«, sagt Zenia. »Sie klingt, als sei sie voller Leben gewesen.«
Tony versteht nicht, warum Zenia eine Entschuldigung für ihre Mutter finden will. Sie selbst hat das nie getan, wird ihr jetzt klar. »Sie ging gern auf Parties«, sagt sie kurz angebunden.
»Ich wette, sie hat’s mit einer Abtreibung versucht, und es hat nicht funktioniert«, sagt Zenia fröhlich. »Bevor sie deinen Vater geheiratet hat. Ich wette, sie hat die Badewanne mit kochendem Wasser gefüllt und eine Menge Gin getrunken. So hat man das früher gemacht.«
Tony selbst hat noch nie ein derart dunkles Bild ihrer Mutter gezeichnet. »O nein«, sagt sie leise. »Das hätte sie nie getan!« Obwohl es wahr sein könnte. Vielleicht ist Tony deshalb so klein. Ihre Eltern waren beide nicht besonders winzig. Vielleicht hat der Gin ihr Wachstum behindert. Aber wäre sie dann nicht auch geistig zurückgeblieben?
Zenia füllt die
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