Die Raffkes
Zurückhaltung.
Emotionslos begann sie: »Ihre Tante hat gesagt, Sie wollen irgendwelche Auskünfte. Und das Ganze hätte keine Folgen für uns.« Sie trug einen schwarzen Pulli, eine schwarze Hose, schwarze Lackslipper, alles an ihr war schwarz bis hin zu einer Halskette aus unregelmäßig geformten Steinen. Nur die dünne Kette, an der eine Brille baumelte, was aus Gold.
»Das ist richtig«, nickte Mann. »Mein Name ist Jochen Mann.«
Sie ließ ihn in einen Vorraum eintreten.
Der Kitsch war überwältigend. Zwei Fenster an den Seiten waren drapiert mit farbigen Schals, die man über gehämmerte Eisenstangen gewunden hatte. Darunter stand jeweils ein schwerer Holzstuhl, auf dem Porzellanpuppen saßen, die Kleider aus dem Rokoko trugen und gläsern lächelten. Auf den Fensterbänken Tiere: Igel, Enten, Gänse aus Ton.
»Meine Töchter lieben Puppen über alles«, stellte die Frau fest.
Dann ging sie voran in einen großen Wohnraum, hinter dem sich der Garten anschloss. Auch hier sorgsam über gedrehte Eisenstangen gehängte Schals, Puppen mit Schleifchen und Bändern überall, Tiere aus Ton, alles ganz allerliebst.
»Nehmen Sie Platz!« Sie sank auf die vordere Kante eines Sofas, dabei wirkte sie hellwach, misstrauisch und vorsichtig.
Mann setzte sich in einen Sessel, der mit dunkelgrünem plüschigem Stoff bezogen war. »Wie meine Tante Ihnen sicher gesagt hat, bin ich Staatsanwalt. Aber ich bin nicht in amtlicher Eigenschaft hier. Das heißt, wir können offen miteinander reden.«
Sie sah ihn nur an, hielt die Hände im Schoß gefaltet und wartete. Dann geschah etwas Merkwürdiges. Neben ihr hockte auf einem roten Samtkissen ein kleiner Plüschbär. Nach dem griff sie nun, setzte ihn sich auf das Knie, hielt ihn an beiden Ärmchen fest und ließ ihn ›Hoppe, hoppe, Reiter‹ machen. Dabei wandte sie nicht den Blick von Mann.
Mann wurde klar: Das wird ein schwieriges Gespräch. »Sehen Sie, ich bin mehr oder weniger durch einen Zufall in den Fall um die Bankgesellschaft Berlin geraten. Nur deshalb, weil ich Zeuge des Bombenattentats wurde. Anschließend beauftragte mich meine Behörde, mich um einige Nebenaspekte des Falls zu kümmern. So erfuhr ich von Herrn Sittko und …«
»Herrn Dr. Sittko«, berichtigte die Frau.
»Ja, natürlich, Herrn Dr. Sittko. Das, was man mir erzählte, war etwas merkwürdig. Es hieß, Dr. Sittko sei homosexuell. Und es hieß, wenn ich das mal so frei interpretieren darf, Homosexualität sei gewissermaßen eine Grundvoraussetzung für eine Einstellung in seiner Firma. Dann hörte ich von Ihrem Mann …«
»Exmann«, berichtigte sie erneut.
»Dann hörte ich von Ihrem Exmann. Und zwar hieß es, er habe schon jahrzehntelang eine homosexuelle Beziehung zu Herrn Dr. Sittko, sei gleichzeitig mit Ihnen verheiratet gewesen und habe zwei Töchter. Und jetzt würden meine Fragen folgen, denn ich kann, was sicherlich leicht begreifbar ist, mir nicht vorstellen, wie eine solche Ehe über so viele Jahre hinweg funktioniert …«
Der Plüschbär machte noch immer ›Hoppe, hoppe, Reiter‹, aber seine Bewegungen waren langsamer geworden. »Danach sollten Sie eigentlich meinen Exmann fragen.«
»Richtig«, nickte Mann freundlich. »Ich werde mich um ein Gespräch bemühen. Aber ich höre gern beide Seiten.«
»Herr Dr. Sittko war sehr häufig hier. Meistens am Sonntagabend, bevor am Montag der Stress wieder losging. Er aß hier, spielte mit meinen Töchtern, wir unterhielten uns. Es ging um Geschäftliches und Privates, es war ein sehr freundschaftliches Verhältnis, fast gehörte er schon zur Familie. Und als ich eines Tages sagte, nun sei Schluss, ich würde mich scheiden lassen wollen, hat er das arrangiert. Also, ich meine, die wirtschaftliche Seite, die Versorgung meiner Kinder, das Haus hier und derartige Sachen.«
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass Herr Dr. Sittko Ihnen ein Versicherungsbüro geschenkt hat. Ist das richtig?«
»Na ja, ich wollte unabhängig sein. Von meinem Mann. Herr Dr. Sittko wusste zufällig, dass jemand ein Versicherungsbüro wegen Erreichens der Altersgrenze abgeben wollte. Mitsamt dem Kundenstamm, wie das so üblich ist.«
»Haben Sie jemals mit Ihrem Exmann darüber gesprochen, wie es zu diesem, nun, einigermaßen ungewöhnlichen Leben gekommen ist?«
»Mit meinem Mann kann man über so etwas nicht sprechen.«
»Was ist denn das für ein Gefühl, neben einem Mann im Ehebett zu liegen, der wöchentlich einmal oder wie oft auch immer mit seinem Chef schläft?«
Plötzlich
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