Die Raffkes
Beschläge, an denen Bademäntel und Handtücher hingen, sahen aus, als seien sie vergoldet. Sie ist ein Goldstück, überlegte Mann melancholisch. Es gibt jemanden, der sie sich leistet. Er öffnete den verspiegelten Schrank über dem Waschbecken. Wenig überraschend gab es eine Herrenabteilung mit Rasierpinsel, einem Topf Rasierseife und einem Rasierwasser von Hermès. Einer der weißen Bademäntel war für die Frau entschieden zu groß. Mann zog den Pulli wieder über und ging zurück in den Wohnraum. »Es dauert nicht lange«, versprach er. »Ich kann sowieso nicht schlafen.« Sie hatte eine kleine Flasche Champagner geöffnet und sich ein Glas eingegossen. »Was heißt das, dass Sie zufällig dort gewesen sind?« »Ich war in dem Lokal mit jemandem verabredet.« Er zog aus der Gesäßtasche der Hose einige Blätter Papier, die er vorsorglich eingesteckt hatte. Penibel legte er sie vor sich hin und sagte munter: »Erst einmal schnell die Personalien. Sie heißen Marion Westernhage, die Wohnung hier ist Ihre?« »Ja. Ich bin am dreizehnten April 1966 in Bremen geboren worden. Geschieden. Von Beruf bin ich Bankkauffrau.« »Sie sind angestellt?« »Ja, angestellt. Ich bin Sachbearbeiterin im Vorzimmer des Vorstandes. Bei einer Bank, bei Gerhard Dreher, also bei der Bankgesellschaft.« Sie lächelte. »Ich bin selbstverständlich nicht vorbestraft.« »Oh! Dann arbeiten Sie in einem sehr unruhigen Haus.« »Im Moment schon«, nickte sie ironisch. »Weltuntergang sozusagen. Sind Sie schon vor der Explosion da gewesen oder erst später gekommen?« Sie trank ihr Glas mit einem langen, durstigen Zug leer. Als sie es auf die Glasplatte zurückstellte, bemerkte Mann die Tablettenschachtel. Eine Packung Valium 20 »Später. Ein paar Minuten. Und jetzt erzählen Sie bitte, wie Sie das erlebt haben. Von Beginn an. Wieso waren Sie dort?« »Es war wie bei Ihnen. Ein Zufall«, sagte sie. »Ich habe bis halb acht gearbeitet. Anschließend war ich mit einem Freund verabredet. Wir wollten essen gehen und er hat das Francucci’s vorgeschlagen.« »Sie trafen ihn. Und dann?« Mann hatte plötzlich den Eindruck, als versteife sie sich, als seien ihre Augen größer geworden. Und sie bewegte sich nicht mehr. Sekundenlang wirkte sie wie eine Puppe aus Porzellan. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper, sie nahm die Flasche und goss sich nach. »Ich traf ihn gar nicht. Mein Freund erschien nicht.« »Kann ich bitte den Namen und die Adresse dieses Freundes erfahren? Es ist nur der Ordnung halber.« »Das möchte ich nicht«, sagte sie leise und starrte auf einen blauen chinesischen Seidenteppich, der nach Manns bescheidenem fachlichem Wissen ein Vermögen gekostet haben musste. Er spürte einen jähen Zorn in sich aufsteigen. »Warum nicht? Wir gehen mit diesen Angaben nicht leichtsinnig um.« »Er ist verheiratet.« Ihre Augen forderten: Komm mir nicht zu nahe! »Hören Sie, Frau Westernhage, jemand hat versucht, den israelischen Botschafter mitsamt Familie in die Luft zu sprengen. Es gibt mindestens vierzehn Tote. Ich bin die entschieden freundlichste Lösung Ihres kleinen Problems, denn ich kann mich sehr diskret bei Ihrem Bekannten erkundigen, ohne eine mögliche Ehefrau oder mögliche Kinder aufzuscheuchen. Die Leute, die nach mir kommen, können das Wort Diskretion nicht einmal buchstabieren. Also, von vorne. Sie sitzen im Vorzimmer Ihres Chefs, Dreher heißt er, und machen um neunzehn Uhr dreißig Schluss. Dann sind Sie rüber zum Ku’damm. Mit dem eigenen Wagen?« »Nein, ich habe ein Taxi genommen. Wieso müssen Sie den Namen des Freundes wissen? Er ist doch gar nicht gekommen.« Das klang vorwurfsvoll. Mann blies die Backen auf, er wollte raus aus dieser Wohnung. Diese Westernhage war eine Zicke und ihre Stimme klang zunehmend aggressiv und unkontrolliert. »Die Ermittler nach mir werden sogar den Taxifahrer ausfindig machen, Ihr Bankkonto lesen und Ihr gesamtes Vorleben auskundschaften bis zurück zu den Windeln. Seien Sie klug, ersparen Sie sich Unannehmlichkeiten und reden Sie mit mir.« Sie fuhr mit der Rechten über das glatte Leder. »Das geht nicht.« Mann nickte. »Wem gehört der Rasierpinsel im Bad?« »Was hat denn der Rasierpinsel mit der Sache am Ku’damm zu tun?« »Stellen Sie mir keine dämlichen Gegenfragen«, erwiderte Mann scharf. »Machen Sie sich doch mal das Ausmaß dieser Sache klar: Das Haus eines Amerikaners ist in die Luft geflogen und der Präsident in Washington hat gesagt, dass die
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