Die Raffkes
einen Engel gehalten«, meinte er leichthin. »Kann ich nun vielleicht doch ein Glas Champagner haben?« »Aber ja. In dem Schrank da hinten sind die Gläser.« In die plötzliche Stille des Raumes sagte sie: »Ich weiß nichts von Ihnen. Erzählen Sie doch mal von sich.« Mann war erstaunt, begriff aber dann, dass ihre Aufforderung möglicherweise ein Schlüssel zu ihr war. »Tja, ich bin Staatsanwalt. Ich bearbeite die Akten jugendlicher Straftäter. Mein Arbeitstag dauert normalerweise zwischen zwölf und vierzehn Stunden.« Er lächelte. »Wir Staatsanwälte sind ein elitärer Haufen, wir glauben, dass wir die einzig wahren Juristen sind, die absolut besten. Diese Stadt ist meine Stadt, ich bin hier geboren, ich habe hier studiert. Und ich lebe seit vielen Jahren mit derselben Frau zusammen. Wir wohnen in der Kastanienallee in Mitte.« »Haben Sie einen Traum?« Er wollte mit einer Floskel antworten, etwas sagen wie: »Geht das jetzt nicht zu weit?« Dann erinnerte er sich an einen Ausbilder, der mal geraten hatte: »Geben Sie jedem Zeugen das Gefühl, der einzige wirklich gute Zeuge zu sein.« Deshalb antwortete er: »Ich habe durchaus Träume. Berufliche Träume. Ich würde gern das Amt eines juristischen Beraters bei einem großen Industriekonzern ausüben. Irgendwann einmal.« »Keine privaten Träume? Heirat? Kinder?« »Keine Heirat, keine Kinder«, antwortete er knapp. »Wollen Sie mir den Namen Ihres Essenspartners nicht doch verraten?« »Lieber nicht«, sagte sie. »Das könnte zu Missverständnissen führen. Es gibt Situationen, die unweigerlich zu Missverständnissen führen. Das müssten Sie als Staatsanwalt doch eigentlich wissen.« »O ja, das weiß ich sehr gut. Wollen Sie ein Missverständnis hören?« »Na ja, wenn es ein gutes Missverständnis ist.« Mann lächelte. »Hier wohnt manchmal ein Mann. Er ist Ihr Chef. Ihm gehört diese Wohnung. Und Sie wollten zusammen essen gehen. Aber er kam nicht. Ist es so gewesen?« Augenblicklich war sie beleidigt. »Diese Wohnung gehört mir«, sagte sie scharf. »Mir ganz allein. Das Katasteramt wird Ihnen das bestätigen. Damit ist das erste Missverständnis aus der Welt. Der Rasierpinsel gehört meinem Chef, das Missverständnis ist in Ordnung. Aber ich wollte nicht mit ihm essen gehen. Denn er war gestern in Düsseldorf, von da aus ist er nach München geflogen und morgen ist er in Köln. Also Chef ist nicht. Sind Sie jetzt enttäuscht?« Mann lachte. »Nein, bin ich nicht. Behalten Sie den Namen Ihres geheimnisvollen Begleiters ruhig für sich. Ich bin überzeugt, die Herren, die nach mir kommen, werden ihn erfahren.« »Da wäre ich nicht so sicher.« Fast grinste sie. »Dreher schirmt mich ab, er passt auf mich auf. Wie sah ich eigentlich aus, als ich da in der Toilette lag?« Mann überlegte. »Wie eine schöne Frau mit dem Blut von Toten auf dem ganzen Körper. Erschreckend. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, was Sie trugen. Kleid oder Hose, ich weiß es nicht.« »Es war ein kurzes Kostüm mit weitem Ausschnitt. Im Krankenhaus haben sie es mir ausgezogen und ich habe ihnen gesagt, sie sollen es wegschmeißen.« »Wie ich sehe, haben Sie ein Mittel für die Nacht. Ich muss jetzt gehen, ich merke, dass ich müde werde.« Trotzdem blieb Mann sitzen. »Sie glauben mir nicht, nicht wahr?« »Nein, ich glaube Ihnen nicht.« »Und warum? Ich meine, benehme ich mich irgendwie falsch? Oder geheimnisvoll?« »Nein, das ist es nicht. Sie sind eine erfahrene Geliebte. Und solche Frauen bewegen sich immer vorsichtig durchs Leben. Ich nehme an, dass dieser Dreher ein Mann ist, bei dem man sich sehr, sehr vorsichtig bewegen muss. Nein, das ist es nicht. Sie sind eine kluge Frau und Sie wissen, was auf diese Stadt nach dieser Bombe zukommen wird. Mit wem auch immer Sie sich treffen wollten, es wäre ein Leichtes, mir zu sagen: Er heißt Sowieso, er ist Rechtsanwalt und er wohnt in Sowieso. Dann treffe ich ihn für die Dauer von dreißig Sekunden, er bestätigt das und over. Und weil Sie das genau wissen, ist Ihr Verhalten idiotisch.« Sie nickte und presste die Lippen zusammen, als gäbe sie ihm Recht, aber sie sagte nichts. »Dann verschwinde ich jetzt.« Er stand auf. Er entnahm seiner Geldbörse eine Karte und reichte sie ihr. »Ich werde noch ein, zwei Tage mit den Protokollen zu tun haben. Wenn Sie es sich anders überlegen sollten, rufen Sie mich an. Wenn Sie nicht mich anrufen wollen, wenden Sie sich an Kriminalrat Erich Ziemann. Er ist ein netter
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