Die Raffkes
Täter aus dem Reich des Bösen stammen. Was glauben Sie, was mit Ihnen geschieht, wenn ich behaupte: Die Dame will den Namen ihres Lovers nicht verraten?« »Huh«, machte sie theatralisch und sichtlich erheitert. »Jetzt ist der Oberindianer aber sauer. Wissen Sie, ich erledige meine Probleme gern der Reihe nach. Erst mal Sie und dann die bösen Jungen, die nach Ihnen kommen.« Ich kann auch anders, dachte Mann und seufzte. »Also gut, wenden wir uns einem anderen Thema zu: Wo waren Sie genau, als die Bombe hochging?« Es war, als senke sich ein Vorhang in ihren Augen, ihre Hände zitterten. Sie nahm einen hastigen Schluck von ihrem Champagner und ein paar Tropfen liefen ihr über das Kinn. Dann stand sie auf, lief durch den Raum und suchte etwas. Sie kehrte mit einer Zigarettenschachtel in der Hand zurück, hockte sich auf das Sofa und zündete sich eine an. »Ich rauche selten«, erklärte sie. »Tja, wie war das?« »Ich zeichne Ihnen den Grundriss des Restaurants auf. So, hier ist der Eingang, die Stehtische. Da war die Truhe mit den Antipasti, dann kommen die Theke mit den Zapfhähnen und der Durchgang zum Restaurant. Wo waren Sie?« »Erst war ich auf der Straße. Also vor dem Restaurant.« »Wie lange haben Sie da gewartet?« »Fünf Minuten, schätze ich. Dann wurde es kühl, ich ging hinein.« »Ist Ihnen auf der Straße irgendetwas aufgefallen? Irgendein Mensch, ein Auto, irgendwas, was Ihre Neugier erregte?« »Nein, nichts.« »Gut, Sie gehen also rein. Wohin genau gehen Sie?« »Zu dem Stehtisch links, also dem, von dem aus man durch das Fenster direkt auf den Ku’damm sehen kann.« »Sind Sie allein an dem Tisch?« Er kramte hastig in seinen Unterlagen und fand Giovannis Zeichnung. Giovanni hatte an den Stehtisch links außen geschrieben: U. Frau, rund dreißig. »Ja, ich stand allein an dem Tisch.« »Kam ein Kellner zu Ihnen?« »Ja, sofort. Er räumte Gläser weg und ich bestellte einen trockenen Weißwein. Den brachte er auch gleich.« »Gut, weiter. Kannten Sie jemanden an den Nachbartischen?« Er beobachtete sie genau und stellte fest, dass sie hellwach war und auf der Hut. Da war etwas, was sie unruhig sein ließ. Mit einem unbewegten Gesicht antwortete sie: »Nein, ich kannte niemanden.« »Wie standen Sie? Mit dem Rücken zum Lokal oder mit dem Rücken zur Straße?« »Mit dem Rücken zum Lokal. Ich wollte meinen Freund sehen, wenn er kam.« »Was geschah dann?« »Dann gab es die Explosion.« »Die Bombe explodierte also in Ihrem Rücken?« »Korrekt. Ich wurde … ich flog irgendwie. Gegen eine Mauer. Aber da war eigentlich das Fenster, keine Mauer. Trotzdem war es eine Mauer. Die Mauer zwischen dem Eingang und dem Fenster. Und sofort war alles dunkel. Viele Menschen schrien. Ganz schrill. Das … das war grauenhaft, das höre ich immer noch …« Sie beugte sich vor, ihre Schultern bewegten sich zuckend. Sie wiegte sich vor und zurück. Mann blieb sachlich. »Lagen Sie auf dem Bauch oder auf dem Rücken? Oder auf der Seite?« Sie schüttelte heftig den Kopf, stand abrupt auf und verließ den Raum. Auch Mann sprang auf und lief unruhig hin und her. Er hörte, dass sie die Klospülung betätigte. Er fragte sich, ob es nicht notwendig war, sie brutaler anzugehen. Aber das behagte ihm nicht, das war nicht sein Stil. Über einer niedrigen Truhe hing ein großer Baselitz. Mann schaute genauer hin. Das Gemälde schien ein Original zu sein. Marion Westernhage kehrte zurück und sagte noch im Gehen: »Ich lag auf dem Rücken und irgendjemand lag auf mir. Alles an mir war nass. Ich habe überhaupt nicht kapiert, dass es Blut war. Alles war nass. Ich habe geschrien, wollte wegrennen und konnte nicht. Es … es war furchtbar.« »Aber Sie haben sich befreien können?«, fragte er sanft. »Ja, irgendwie. Der Mann auf mir, der war tot. Ich sah nichts, überall war dichter Nebel. Staub und so. Und ich kriegte keine Luft mehr. Ich weiß auch nicht …« »Was wissen Sie nicht?« »Na ja, jetzt frage ich mich ständig, warum ich nicht auf die Straße gelaufen bin. Aber es ist möglich, dass ich die Straße nicht gesehen habe. Ich bin mir der Straße gar nicht bewusst geworden. Ich weiß nur, ich sah ein kleines Schild mit WC drauf. Dann bin ich in die Richtung gestolpert. Völlig idiotisch, das zu tun. Ich habe die Tür zu der Kabine aufgemacht und dann muss ich das Bewusstsein verloren haben. Ihr Gesicht war das Erste, was ich dann wieder wahrgenommen habe.« »Hoffentlich haben Sie mich nicht für
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