Die Raffkes
»Siebzehn Personen sind es nun, die tot sind. Eine Bombe bedeutet in jedem Fall eine Zerstörung vieler Leben. Warum also überhaupt eine Bombe? Wenn nur Sirtel gemeint war, warum nicht ein schneller Schuss?«
»Der Anfang einer Lösung liegt nicht hier. Aber vielleicht hat ja jemand gedacht: Wenn ich eine Bombe schmeiße, kann ich das wahre Ziel verdecken.«
»Das ist aber letztlich eine miese Tarnung gewesen, wie man sieht.«
»Wir können hier auf dieser etwas trostlosen Wiese noch viel weiter gehen«, meinte Mann leicht erheitert. »Wir können uns die Frage stellen, wer Ziemann erschossen hat. Wem war Ziemann so gefährlich wie Walter Sirtel? Und – wer könnte möglicherweise das nächste Opfer sein?«
Brauer grinste. »Ich würde Sittko vorschlagen. Der weiß genug, um mindestens zwanzig Bankvorstände auf die Anklagebank zu bringen. Ja, und er könnte Blandin vom Thron stoßen. Blandin ist meiner Ansicht nach der Übelste unter den Berliner Schätzchen. Also, ich tippe auf Sittko.« Er zog sich zusammen wie eine Katze und stand plötzlich auf seinen Füßen, ohne dass Mann hatte verfolgen können, wie er das Kunststück fertig gebracht hatte. Brauer sagte in den Himmel: »Können wir uns darauf einigen, Kumpel, dass du und ich, treue Beamte des Staates, in einem Schwall von Verdacht leben?«
»Das ist das Wort zum Sonntag. Bis demnächst also. Ach, sollen wir unsere Handynummern austauschen?«
Brauer nickte und ließ eine Karte flattern. Während er nach Manns Karte griff, sagte er: »Darf ich zum Schluss noch erfahren, was Marion Westernhage so erzählt hat? Ich meine, sie sitzt im Zentrum der Macht.«
»Ich will versuchen, sie rauszuhalten«, entgegnete Mann.
»Das dachte ich mir«, murmelte Brauer und ging über die Wiese davon.
Mann blieb noch eine Weile sitzen, rief Ossietzky an und teilte ihm mit, dass er sich vom Acker machen würde. Rief dann seinen neuen Chef Blum an und sagte entschieden: »Ich kann hier in Frankfurt nichts ausrichten, wir finden keinen Schlüssel zum Verhalten des Vietnamesen. Ich denke, Ossietzky und seine Leute sind gut und decken das Problem hier ab. Ich gebe allerdings einen wichtigen Punkt zu Protokoll: Die Bombe war viel zu gefährlich, um sie von Frankfurt nach Berlin zu transportieren. Der Vietnamese hat sie in Berlin übernommen. Ich würde vorschlagen, ich komme nach Hause.«
»Einverstanden … Können Sie morgen früh gegen elf Uhr in Mitte sein? Es gibt da eine Kneipe, die Bei Bolle heißt. Am Weinberg, Sie …« »Ich wohne da«, warf Mann ein.
»Gut, sei also um elf da. Ich weiß gar nicht, warum ich dich sieze.«
»Solange du mich nicht ständig ›mein Junge‹ nennst, ist das in Ordnung«, sagte Mann trocken. »Ich komme.«
Es begann zu regnen und der Regen wurde schnell stark und peitschend. Mann hielt sein Gesicht zum Himmel gewandt und fühlte sich zum ersten Mal seit vielen Stunden wieder gut. Als er sein Auto in der Stadtmitte erreichte, war er triefend nass und summte: »We are the champions …«
Er fuhr zu seinem Hotel, zog sich um, zahlte und machte sich auf den Weg zurück in die Hauptstadt. Sein Verstand sagte ihm: Fahr zu Katharina. Du weißt, was du dort hast. Doch er entschloss sich, in den Grunewald zu fahren.
Unterwegs erreichte ihn Erna Ziemanns Anruf. Sie sagte ruhig, als sei die Welt in Ordnung: »Ich würde mich freuen, wenn du hier mal vorbeischaust. Es ist wichtig für mich, mit jemandem über Erich zu sprechen. Mit seinen Kollegen kann ich nicht reden. Die sind schüchtern und hilflos. Ich möchte mit dir reden.«
»Ich melde mich. Heute noch«, versprach er.
Er fand Tante Ichens Haus leer, spazierte durch die Stille des Parks hinter dem Haus, lauschte den Tropfen, die noch von den Bäumen fielen, und kam ganz langsam bei sich selbst an. Er erinnerte sich daran, wie er als Junge im Schatten der großen Rotbuche eine große Menge winziger Frösche entdeckt hatte, die wie ein Spuk am nächsten Morgen wieder verschwunden waren.
Er ging in die Küche und wollte sich Eier in die Pfanne schlagen, als John hereinkam und energisch sagte: »Keine Übergriffe in mein Reich!«
»Wo ist Ichen?«
»Noch im Büro. Wir haben schließlich eintausendzweihundert Mietparteien zu verwalten. Irgendwann wird dir der ganze Ramsch gehören.«
»Ichen würde sagen: ein bisschen mehr Ehrfurcht, bitte!«
»Ich bin zu alt für Ehrfurcht.«
»Und ich will dieses Erbe nicht.«
»Es hat aber Vorteile«, konterte John spitz. »Was hältst du von holsteinischem rohem
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