Die Ranch
sein. Kein Wunder.« Damit war das Thema für ihn erledigt, und er nahm ein paar juristische Zeitschriften mit ins Bett, die diverse Artikel über seine Klienten enthielten.
Mary Stuart verschwand im Bad und kehrte zehn Minuten später in einem weißen Baumwollnachthemd zurück. Hätte sie ein Kettenhemd getragen, wäre es ihrem Mann nicht aufgefallen. Reglos lag sie im Bett, während er in seinen Magazinen blätterte, und dachte an ihr Gespräch mit Tanya. Würde sich Tony tatsächlich von ihrer Freundin trennen? Wie unfair … gerade jetzt, in schwierigen Zeiten, müsste er ihr zur Seite stehen. Aber sie schien zu resignieren und mit einer endgültigen Trennung zu rechnen. Warum kämpfte sie nicht um ihn? Es war so leicht, das Leben anderer Menschen zu betrachten und zu entscheiden, was sie tun sollten.
Mit ihrem eigenen Leben kam Mary Stuart nicht zurecht. Sie war völlig hilflos und konnte sich nicht mehr mit Bill verständigen. Hinter einer Mauer aus Eis, die immer dicker wurde, verschanzte er sich außerhalb ihrer Reichweite, und allmählich verlor sie die Hoffnung, je wieder eine richtige Ehe zu führen. Wie würde die Zukunft aussehen? Darüber wollte er nicht diskutieren. Wenn sie dieses Thema erwähnte, würde er sie für verrückt halten, so wie am heutigen Abend, als sie lächelnd und leichtfüßig nach Hause gekommen war. Er hatte sie angestarrt wie eine Fremde von einem anderen Planeten. Offenbar wurde Fröhlichkeit nicht mehr geduldet, intime Nähe gehörte der Vergangenheit an. In welch einer schrecklichen Situation sie sich befand, bemerkte sie umso intensiver, wenn sie ihre Ehe mit den Augen anderer Menschen betrachtete. Zu Weihnachten war Alyssa entsetzt gewesen und hatte es kaum erwarten können, wieder nach Paris zu fliegen. Und so schlimm es auch für sie alle sein mochte – Mary Stuart wusste nicht, was sie dagegen unternehmen sollte. Und Bill wollte gar nichts tun.
Nachdem er seine Lektüre beendet hatte, löschte er das Licht und schwieg. Sie lag neben ihm, die Augen geschlossen, und gab vor, eingeschlafen zu sein. Würde er sich jemals in ein menschliches Wesen zurückverwandeln? Würde er je wieder die Hand nach ihr ausstrecken? Würde sie irgendwann einem Mann begegnen, der ihr seine Liebe erklärte? Oder war das alles vorbei? Mit ihren vierundvierzig Jahren hatte sie das Gefühl, ihr Leben würde nicht nur schrumpfen, sondern zu Ende gehen.
4
Pflichtbewusst blieb Mary Stuart am nächsten Morgen zu Hause und schaute sich Tanyas Auftritt in der Talk-Show an. Am liebsten wäre sie aus ihrem Sessel aufgesprungen und hätte den Bildschirm zertrümmert, als der Interviewer von einer Frage nach Tanyas Kindheit in einer texanischen Kleinstadt unvermittelt zu den Gerüchten über den Fitnesstrainer und der Anklage wegen sexueller Belästigung überwechselte. Glücklicherweise meisterte Tanya die Situation, lächelte freundlich und erklärte, es handle sich um Erpressung und ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse.
Aber als sie das Set verließ, war ihr heiß, und es pochte schmerzhaft in ihren Schläfen. »Was kann man von diesen Talk-Shows am Vormittag schon erwarten?«, sagte sie zu der PR-Lady, die sie ins TV-Studio begleitet hatte und sie auch zu ihrem nächsten Termin eskortieren würde, der Besprechung mit dem Literaturagenten über eine Biografie. Seine Vorschläge missfielen ihr, weil der Verlag nur an Sensationen ohne Substanz interessiert war.
Am Nachmittag, als sie Jean anrief, hatte sie das alles gründlich satt. Bei diesem Anruf erfuhr sie, dass die Zeitungen von Los Angeles erneut über den Bodyguard berichten und zudem das Wochenende ausschlachten würden, das Tanyas Ehemann mit einem unbekannten Starlet in Palm Springs verbracht hatte. Während die Sekretärin einen Artikel über die bevorstehende Gerichtsverhandlung vorlas, kämpfte Tanya mit den Tränen. Der Bodyguard behauptete, sie sei mehrmals nackt durchs Haus gelaufen, um ihn herauszufordern. Wäre es nicht so traurig gewesen, hätte sie gelacht.
»Ich wünschte, ich würde mich erinnern, wann ich zum letzten Mal allein im Haus war und nackt herumrannte«, seufzte sie deprimiert. Nur zu gut konnte sie sich Tonys Reaktion auf die Story vorstellen. Sie lehnte Jeans Angebot ab, den Bericht über Tony vorzulesen, und kaufte das Revolverblatt. Auf einem großen Foto war Tony zu sehen, der schützend eine Hand vors Gesicht hielt, an der Seite einer etwa zwanzigjährigen Schauspielerin, die ihr bekannt vorkam. Ob
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