Die Ranch
seinen Selbstmord. Sag deinem Mann, wie es wirklich war! Die Gewissensqualen darfst du nicht länger mit dir herumschleppen. Warum soll Todd als Held in die Geschichte eingehen – nicht als armer, liebeskranker Junge, der eine unglaubliche Dummheit gemacht hat? Nun, vielleicht war's sein Schicksal. Jedenfalls ist's passiert, und es lässt sich nicht mehr ändern. Bill hat kein Recht, dir die ganze Schuld in die Schuhe zu schieben, um sich selber freizusprechen. Begreif das doch endlich – du bist nicht verantwortlich, Mary Stuart, nur der Sündenbock.«
»Diese Erkenntnis habe ich schon vor langer Zeit gewonnen. Aber Bill wird es niemals zugeben.«
»Dann solltest du ihn verlassen. Oder willst du ihm erlauben, dich bis ans Ende deines Lebens zu bestrafen? Wirst du die nächsten vierzig oder fünfzig Jahre auf den Knien liegen und flüstern? Dafür bist du zu jung.«
Mary Stuart hörte ihrer Freundin zu, und es kam ihr so vor, als würde jemand in einem dunklen Zimmer die Vorhänge öffnen und hellen Sonnenschein hereinlassen. Ein Jahr lang hatte sie in einer dunklen Ecke getrauert, und es war seltsam, in diesem Zimmer zu sitzen, während sie darüber sprachen. Irgendwie entstand der Eindruck, Todd wäre in ihrer Nähe.
Ja, Tanya hatte Recht – sie wollte zornig auf Bill werden, ihn anschreien und schütteln. Wie konnte er nur so dumm sein und die Ehe zerstören? »O Tan, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Das alles hat mich so verwirrt. Für die arme Alyssa muss das letzte Weihnachtsfest in dieser Wohnung ein Albtraum gewesen sein. Sie konnte es kaum erwarten, nach Paris zurückzukehren.« Schließlich war sie vier Tage früher als geplant abgereist, was die Schuldgefühle ihrer Mutter noch verstärkt hatte.
»Um das in Ordnung zu bringen, wirst du noch genug Zeit finden. Denk erst mal an dich selbst, an deine eigenen Bedürfnisse. Du musst dich gegen Bill wehren und deinen inneren Frieden finden. Sprich mit dir selbst, mit deinem Sohn, und sieh, was dabei herauskommt. Und dann solltest du mit Bill reden. Bis jetzt hat er's sich zu einfach gemacht.«
»Das bezweifle ich. Für ihn war's so schmerzlich, dass er sich hinter einer Mauer aus Eis versteckt hat, bis er innerlich abgestorben ist. Und nun wagt er nicht hervorzukommen.«
»Wenn er sich weigert, wird er dich und eure Ehe vernichten.« Falls das nicht schon geschehen war. Tanya wusste nicht, wie viel ihre Freundin noch zu retten vermochte. Wenigstens dachte Mary Stuart darüber nach. Und Tanya war froh darüber, dass sie irrtümlich Todds Tür geöffnet hatte.
»Danke, Tanny.« Mary Stuart stand auf, zog die Vorhänge auseinander, und helles Licht erfüllte den Raum. »Was für ein wunderbarer Junge er war … Unglaublich, dass er nicht mehr da ist …«
»In gewisser Weise wird er immer hier bleiben, und wir werden ihn nie vergessen.« Arm in Arm, die Augen voller Tränen, verließen sie das Zimmer und gingen langsam in die Küche. Tanya trank noch eine Tasse Tee. Dann kehrte sie ins Hotel zurück, um sich für die Party umzuziehen. Mary Stuart betrat noch einmal Todds Zimmer und schloss die Vorhänge.
Hatte Tanya Recht? Vielleicht trug nur Todd die Schuld an der Tragödie und niemand anderer. Doch sie konnte ihm noch immer nicht böse sein. Es war viel leichter, seinem Vater zu grollen, der ihr vorwarf, sie habe den Selbstmord des Jungen nicht vorausgesehen.
Später rief Alyssa an, und sie unterhielten sich eine Weile. Mary Stuart erzählte von Tanyas Besuch, ohne das Gespräch in Todds Zimmer zu erwähnen. Dann erklärte sie, Tanya habe sie zu Felicia Davenports Party eingeladen, aber sie würde nicht hingehen, weil sie zu müde sei.
»Bist du verrückt, Mom?«, schimpfte Alyssa. »So eine Chance kriegst du nie wieder. Zieh das schwarze Chiffonkleid von Valentino an und geh hin! Ich lege jetzt auf, damit du dich schön machen kannst.«
»Das Kleid, das du immer trägst?«, neckte Mary Stuart ihre Tochter. Es war wundervoll, mit ihrer Tochter zu reden. Seit Todds Tod standen sie sich besonders nahe. Gewissermaßen hatten sie die Rollen vertauscht, und Alyssa war Mary Stuarts Mutter geworden. Mary Stuart wollte sich entschuldigen, weil sie so lange in ihrer Verzweiflung versunken war, doch es widerstrebte ihr, das schmerzliche Thema anzuschneiden. Und so beendete sie das Telefonat, nahm ein Bad und schlüpfte in das Valentino-Kleid. Darin wirkte sie sehr elegant. Sie zog hochhackige Schuhe an und bürstete ihr Haar, bis es
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