Die Ranch
zugehört – und keinen Kommentar abzugeben.« Unglaublich … War er vor lauter Angst und Kummer versteinert? Wie auch immer, sie ertrug es nicht länger, das hatte sie endlich erkannt.
Sie ging ins Bett, und er knipste das Licht aus. Kein einziges Mal wandte er sich zu ihr um. Während er beharrlich schwieg, dachte sie an Tanya und die Leute, die sie auf Felicias Party getroffen hatte. Sie war erst vierundvierzig Jahre alt, und da draußen wartete immer noch das Leben, und es gab Menschen, die sich gern mit ihr unterhielten, die Interesse an ihr zeigten. Tanya hatte die Fenster geöffnet, und zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit wagte Mary Stuart hinauszuschauen. Was sie erblickte, faszinierte sie. Und sie hatte keine Ahnung, was jetzt geschehen sollte.
Das wusste ihr Mann nach dem beunruhigenden Gespräch genauso wenig. Er stand auf einer Seite der breiten Kluft, die früher ihre Ehe gewesen war, und sie auf der anderen.
5
In den nächsten Tagen kreuzten sich ihre Wege nur selten. Bill arbeitete jeden Abend bis Mitternacht und schien im Büro zu wohnen. Daran war Mary Stuart mittlerweile gewöhnt, denn das letzte Jahr hatte sie mehr oder weniger allein verbracht. Nur eines änderte sich in dieser Woche – sie musste kein Dinner mehr kochen, weshalb sie zusehends abnahm. Früher hätte sich ihr Mann um sie gesorgt, jetzt bemerkte er gar nicht, dass sie immer dünner wurde.
Am Morgen vor seiner Abreise rief sie ihn in der Kanzlei an und fragte, ob sie seine Sachen packen sollte, was sie stets für ihn getan hatte. Aber er entgegnete, er würde am Nachmittag nach Hause kommen und sich selbst zusammensuchen, was er brauchte.
»Bist du sicher?« Sie war verblüfft und hatte den Eindruck, ihn überhaupt nicht mehr zu kennen. Nichts, was er tat oder von ihr erwartete, erinnerte sie an den alten Bill. Seit dem Tod ihres Sohnes lebten sie wie zwei Fremde nebeneinander her. »Es macht mir nichts aus, deine Koffer zu packen.« Das würde sie wenigstens beschäftigen und von dem Gedanken ablenken, dass er sie für zwei oder drei Monate verließ. Erst an diesem Tag wurde ihr das richtig bewusst. Abgesehen von der Reise mit Alyssa, musste sie den ganzen Sommer allein verbringen, und davor graute ihr. Bill behauptete, in London würde sie sich langweilen und ihn bei der Arbeit stören. Früher hatte sie ihn stets begleitet, darüber war nie diskutiert worden.
Er bestand darauf, seine Sachen selbst auszuwählen und zu packen, weil es sehr wichtig sei, welche Anzüge er im Londoner Gerichtssaal tragen würde. »Um vier komme ich nach Hause.« Seine Stimme klang ungeduldig. Anscheinend gab es Probleme, da er sich für einige Monate vom Büro verabschieden würde und vorher noch unzählige Dinge zu erledigen hatte. Er wollte eine Assistentin mitnehmen. Wäre sie jünger und attraktiver als Mary Stuart, hätte man die offenkundigen Schlüsse ziehen können. Aber die rundliche, unscheinbare, intelligente Frau war schon über Sechzig.
»Isst du abends zu Hause, oder gehst du aus?«, fragte Mary Stuart deprimiert, bemühte sich jedoch, in gleichmütigem Ton zu sprechen. Sie mussten einander nichts mehr vormachen und nicht einmal die Illusion einer gewissen Vertrautheit erwecken.
»Mach dir keine Mühe, ich nehme mir irgendwas aus dem Kühlschrank«, sagte er geistesabwesend. Beide hassten die Mahlzeiten in eisigem Schweigen, und Mary Stuart atmete jedes Mal erleichtert auf, wenn er länger arbeitete und im Büro aß.
»Dann kaufe ich etwas Kaltes bei William Poll oder Draser Morris.« Nach dem Telefonat verließ sie die Wohnung, um ein Buch zu besorgen, das er im Flugzeug lesen wollte, und seine Sachen aus der Reinigung zu holen. Während sie zur Lexington eilte, sehnte sie ihre eigene Abreise herbei. Trotz des Abgrunds, der zwischen ihnen klaffte, würde sie sich ohne ihren Mann schrecklich einsam fühlen.
Sie kaufte etwas zu essen bei William Poll, dann das Buch, Zeitschriften, Süßigkeiten und Kaugummi. Wieder zu Hause, hängte sie Bills saubere Hemden in sein Ankleidezimmer.
Um halb fünf kam er nach Hause, holte wortlos zwei Koffer aus dem Fach über seinem Schrank und begann zu packen.
Erst um sieben sah sie ihn wieder, als er die Küche betrat. Er trug immer noch dasselbe gestärkte, weiße Hemd wie am Morgen, hatte aber die Krawatte abgenommen, und sein Haar war leicht zerzaust. Plötzlich wirkte er jünger und erinnerte sie schmerzhaft an Todd, was sie tapfer zu ignorieren suchte.
»Alles gepackt? Das
Weitere Kostenlose Bücher