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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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geschlafen«, erklärte sie.
    Er sprang auf. »Nein, ich bitte dich! Erspar mir die Details!«, rief er und lief mit geballten Fäusten in den Hosentaschen auf und ab. »Behalt sie für dich, danke, tu mir den Gefallen. Also wirklich, dein Freund hat dich so richtig verarscht. Er hat dich gründlich auf den Arm genommen, wie es so schön heißt.«
    Einmal mehr redete sie mehrere Tage lang nicht mit ihm – das Haus verwandelte sich dann in ein stilles und eiskaltes Grab. Er nutzte die Zeit, um über seine neue Lage nachzudenken und im Wohnzimmer ein paar Filme anzuschauen, sobald sie arbeiten ging – immer noch stumm wie ein Fisch. Wenn sie abends nach Hause kam, würdigte sie ihn keines Blickes, sie lief von einem Zimmer ins andere und ignorierte ihn völlig. Sie war unausstehlich. Und es wurde immer schlimmer. Wenn man sich das so ansah, bekam man langsam, aber sicher Angst vor dem Älterwerden.
    »Auf Deinen Dank kann ich verzichten«, schrieb sie ihm auf einem armseligen Fetzen Papier. Er war gerade bei Martinelli gewesen, und dieser bescheuerte Präsident hatte ihm ganz jovial, ja fast amüsiert verkündet, dass seine Hinrichtung aufgeschoben war – eine Mehrzahl der Dozenten sei ganz erschüttert über diese Maßnahme gewesen, allen voran Richard Olso, der sich als sein glühendster Verteidiger erwiesen habe. Reinste Zauberei. Seine liebe Schwester. Er wollte sich dafür bedanken, dass sie sich wieder einmal so viel Mühe gegeben hatte, ihr sagen, dass er wusste, woher dieser plötzliche Meinungsumschwung Richards kam, aber angesichts der Atmosphäre, die ihr verdammtes Schweigen schuf, würde er diese Schmeicheleien auf später verschieben müssen, wenn sie wieder ein offenes Ohr dafür hatte.
    Wie stellte sie es an, welchen Liebestrank benutzte sie, wie schaffte sie es zu bekommen, was sie wollte? Wenn sie nicht mit ihm schlief, wie belohnte sie ihn dann? Schon die Frage jagte ihm Schauer über den Rücken. Nicht dass er glaubte, dass sie nie irgendjemanden kennengelernt hätte, dass sie eine dieser alten Jungfern wäre, die durch fünfzig Jahre Enthaltsamkeit etwas wunderlich geworden waren, aber bei Richard Olso ging es um etwas ganz anderes, da begann eine andere Dimension. Er war kein Mann, den sie in einer Bar kennengelernt oder auf einer Party getroffen hatte. Er war der Mann, der ihm den Chefsessel des Fachbereichs Literatur weggeschnappt hatte. Der so gut wie nichts über Literatur wusste, der praktisch kein Gehör dafür hatte, der bei einer zauberhaften Komposition nicht erschauerte, ein wahrhaft vorsintflutlicher Typ, der irgendeinen alten, längst vergessenen Goncourt genauso bewunderte wie gestelzte Poeten oder miserable Jungtalente, er war auf jeden Fall ein erbärmlicher Leser, der immer danebenlag und immer auf der falschen Seite stand – wie konnte man so blind sein für jegliche Erkenntnis, wie geistig so armselig sein? Es war unglaublich. Absolut unglaublich.
    Aus all diesen Gründen brachte es ihn auf, ja verletzte es ihn tief, wenn er an die diversen Gefälligkeiten dachte, die Marianne Richard Olso gewähren musste, auch wenn sie das nicht »mit ihm schlafen« nannte – und dass er der Grund dafür war, machte die Sache nicht besser.
    Wie auch immer, er musste sein Büro nicht räumen, und das wusste er zu schätzen. Das Chaos, dem er mit Schrecken entgegengesehen hatte, die absolute Unordnung, die ihn von vornherein hatte erblassen lassen, der Totalverlust seiner neun Quadratmeter – und nicht zuletzt der Verzicht auf den Seeblick und, zwischen den Eukalyptusbäumen, auf ein Stück der verschneiten Alpen in der Ferne, an den er sich sehr gewöhnt hatte – all das würde ihm glücklicherweise erspart bleiben. Der Alarm war abgeblasen. Er schickte eine Nachricht an seine Studenten, um sie über seine Wiedereingliederung in ihre ehrwürdige Universität zu informieren – und forderte sie auf, sich in Nabokov zu vertiefen, sich mit jeder Seite eingehend zu beschäftigen, ohne weitere Anweisungen zu erwarten, es sei denn, sie hegten Zweifel an dem knappen Ton, an der uhrwerkhaften Präzision –, dann genehmigte er sich ein paar zusätzliche freie Tage zum Ausgleich für den Stress, den der Verlust seines Arbeitsplatzes ausgelöst hatte.
    Sobald am Morgen die Sonne aufging, wurde es wärmer, und mit einem Pullover und einem warmen Schal konnte man draußen sitzen.
    An Myriam zu denken versetzte ihm jedes Mal so etwas wie einen Stich – dessen Wirkung ziemlich lange anhalten konnte,

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