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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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ohne auf Wechselgeld zu warten, sich kurz beim Inspektor entschuldigte und, ohne die Diskretion zu wahren, die in einer solchen Situation unbedingt zu beachten war, geradewegs auf sie zuging, unter nochmaliger Missachtung sämtlicher Regeln, die er sich stets auferlegt hatte, die Leute zur Seite schob und geradewegs auf sie zuging. Am helllichten Tag. In aller Öffentlichkeit. Vor den Augen eines Polizeiinspektors – der die Szene mit offensichtlichem Interesse verfolgte.
    Die Sache wurde in dem benachbarten Backsteingebäude abgewickelt, hier befand sich neben der Bibliothek auch die frisch renovierte Mehrzweckhalle, die mit ultramoderner Technik ausgestattet war und über Toiletten verfügte, zu denen die Studenten keinen Zutritt hatten. Er führte sie. Er fühlte sich nicht besonders wohl bei dem Gedanken, dass er sie an einen Ort brachte, den er in der Vergangenheit schon zwei- oder dreimal aus recht ähnlichen Gründen genutzt hatte, aber in diesem Moment verzehrte ihn das Verlangen so vollständig, dass nichts anderes mehr zählte.
    Der größte Witz war, dass er damit gerechnet hatte, er hatte sich diese Situation oft vorgestellt und sich mental darauf vorbereitet, um im Ernstfall standhaft zu bleiben, und nun erlag er schon der allerersten Versuchung, verlor sämtliche Kontrolle – und damit jegliche Möglichkeit, sich zu schützen – und schob also Myriam zu den Toiletten.
    Als er am Abend zuvor ihre Wohnung betreten hatte, war keine Minute vergangen, da hatte er schon von ihr Besitz ergriffen – als zwingende Folge eines langen, atemberaubenden Kusses. Wenn er darüber nachdachte, hatten sie, seit sie Geliebte waren, eigentlich kaum Gelegenheit gehabt, mehr als nur ein paar Worte zu wechseln.
    Und schon ging es wieder los. Als hätten sie das Sprechen verlernt, sobald sie zusammen waren. Sie stürzten die Treppe zur Bühne hinunter und bogen dann in Richtung Toiletten ab, ohne ein Wort zu sagen. Niemals. Niemals. Niemals hätte er gedacht, dass es ein so unstillbares, überwältigendes Verlangen geben könnte. Sie gingen nicht, sie rannten. Wie Halbwüchsige. Wie unersättliche, verrückte junge Hunde. Es war ein Wunder, dass sie niemandem begegneten, einer Putzfrau mit einem Eimer zum Beispiel, oder einem herumirrenden Elektriker.
    Während er kurz verschnaufte, hielt sie sich an seiner Schulter fest und zog ihren Slip aus, tanzte dabei zuerst auf dem einen Bein, dann auf dem anderen. Danach zog sie ihren Rock hoch.
    Er konnte es kaum erwarten, sie zum Mittagessen auszuführen, um sie kennenzulernen und herauszufinden, wer sie war, welche Bücher sie las, blablabla, um mit ihr zu sprechen und ihr zuzuraunen, wie ungewohnt das alles für ihn war, wie sehr ihn dieses Neuland erregte, diese verblüffenden und jungfräulichen Gefilde, die sich vor ihm auftaten, aber offensichtlich sollte sich dafür in absehbarer Zeit keine Gelegenheit ergeben. Die Sache entwickelte sich nicht zu einer dieser gemütlichen Bootsfahrten, die zum Plaudern einladen.
    Aber wahrscheinlich musste man sich angesichts der gegenwärtigen Situation in Geduld üben und diese wortlosen Treffen akzeptieren, die womöglich ein Merkmal reifer Beziehungen waren, wie man sie eben mit reifen Frauen und nicht mit jungen Mädchen einging, denn es zeugte doch von gehörigem Mut, wenn man den Schritt wagte und sich zu Ersteren hocharbeitete und schließlich von ihnen akzeptiert wurde, in ihrer Liga mitspielen durfte, von ihnen als brauchbarer Partner anerkannt wurde. Vielleicht war das Schweigen zum Gedeihen solcher Abenteuer erst einmal unabdingbar. Vielleicht war es mit einer Trüffelfliege zu vergleichen, vielleicht wies es auf eine ernsthafte Sache hin oder jedenfalls auf eine Sache, die unter guten Vorzeichen stand.
    Als sie fertig waren, hörten sie sich gegenseitig dabei zu, wie sie nach Atem rangen. Es war immer angenehm, wieder zu sich zu kommen. Dann brachten sie ihre Kleidung in Ordnung. Wuschen sich die Hände. Wechselten beim Abtrocknen schweigend einen Blick im Spiegel.
    Es amüsierte ihn insgeheim, wenn er an die zwei oder drei Studentinnen dachte, die er hier hergeschleppt hatte. Was für ein Fortschritt, was für ein Sprung nach vorn, dachte er. Hatte er nicht beim Höhepunkt leise gestöhnt und sich fast eine Minute lang zitternd an sie geschmiegt, nachdem er gekommen war? Hatte er so etwas schon einmal erlebt? Im Grunde war er noch ein kleines Kind. Das musste er zugeben. Bis heute hatte er keine Ahnung gehabt. Er war heute

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