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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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je länger der Tag sich hinzog. Einen Film mit Ben Stiller anzusehen verschaffte ihm ein wenig Erleichterung. Bis er sich auf die Suche nach ihr machte. Er es nicht mehr aushielt. Ihr Kuss lag nun ungefähr eine Woche zurück, aber seitdem war ihm jede Minute wie eine Ewigkeit vorgekommen.
    Er nahm seinen Unterricht wieder auf und verdrückte sich am Spätnachmittag, um direkt zu ihr zu fahren.
    *
     
    Er rauchte eine Zigarette auf dem Gehsteig gegenüber. Später rauchte er noch eine, als er im Halbdunkel des Schlafzimmers neben ihr lag, es störte sie nicht. Sie rauche auch manchmal im Bett, meinte sie. Er berührte ihre Schläfe und ihre Haarsträhnen, die vom Schweiß zusammenklebten. Sie war dünn, fast mager, aber von einer erregenden Magerkeit. Feste und spitze Brüste, weiß und rosig.
    Dann stand er wortlos auf und zog sich an, als wäre er in Trance. Durch die geschlossenen Vorhänge drang erstes Tageslicht. Sie blinzelte verschlafen, blieb aber ruhig liegen und beobachtete, wie er sich nachdenklich durch die Haare fuhr, seine Unterhose anzog, seinen Kopf kreisen ließ – ein richtiger Zombie.
    Auf der Schwelle drehte er sich um und winkte ihr, aber Gott weiß, wo er wirklich hinsah. Seine Augen waren leer.
    Er kam auf die ruhige, noch verschlafene Straße. Als er aufblickte, sah er sie an ihrem Fenster – eine farbenprächtige, von Kerzen erleuchtete Madonna, ein Bild ziemlich beängstigender Schönheit. Er beschleunigte seine Schritte.
    Die junge Frau von der Cafeteria machte für ihn auf. Er gab ihr eine Zigarette. Die ersten Gäste ließen noch auf sich warten. Auf der Terrasse waren die Tische mit Tau bedeckt, die Sonnenschirme glitzerten. Der Himmel färbte sich blau. Aus den Zeitungen auf dem Tresen ging hervor, dass das Ende der Welt nahte – woran niemand mehr zweifelte, so sehr häuften sich die Anzeichen, so sehr war das eine allgemein anerkannte Tatsache. Wie auch immer, sein Horoskop war positiv, eine erfolgreiche Phase. Eine Begegnung ist nicht ausgeschlossen. Halten Sie die Augen offen. Normalerweise mied er das Gebäck und die viel zu süßen Kuchen, aber er musste wieder zu Kräften kommen, während seine Spiegeleier in der Küche brutzelten und seine Toasts geröstet wurden. Er streckte die Hand nach den Croissants aus, blieb dabei aber in einen Artikel vertieft, der an einige grundlegende Verhaltensregeln für den Fall einer Atomexplosion erinnerte, wenn das benachbarte Kernkraftwerk in die Luft flog oder ein Laboratorium der Armee. Schotten Sie sich ab. Bleiben Sie zu Hause. Warten Sie, bis Hilfe kommt. Unternehmen Sie nichts aus eigenem Antrieb. Rufen Sie die 112 an. Usw.
    Er erwischte kein Croissant – das diesmal sicherlich frisch und ofenwarm gewesen wäre –, sondern eine andere Hand, fremde Finger, nämlich die Finger des Inspektors, der wegen des Verschwindens von Barbara ermittelt hatte, er war es höchstpersönlich, wie sich herausstellte, als er aufsah und sein Blick auf diesen jungen, nach Rasierwasser stinkenden Typen fiel, der ihm gewiss – trotz des in mancher Hinsicht gezwungenen und künstlichen Ergebnisses – ein äußerst reizendes, aber auch verdutztes Lächeln schenkte.
    Sie entschuldigten sich höflich für ihre wechselseitige Ungeschicklichkeit – der Inspektor war abgelenkt gewesen, weil er seine SMS gelesen hatte.
    Sie waren sich einig, dass ein schöner Tag bevorstand. Er hatte sich zuerst bedient, weil er der Ansicht war, dass dem Älteren der Vortritt gebührte, und tauchte nun die Spitze seines Croissants in den Café ein, unschlüssig, ob er sich vom Tresen an einen Tisch setzen sollte, um in Ruhe zu essen. Aber man durfte nicht außer Acht lassen, dass dieser Typ Polizeibeamter war und man sein Verhältnis zu so einem nicht verschlechtern wollte, indem man ihn verstimmte, heute noch viel weniger als früher, so sehr wurden die Bürgerrechte mit Füßen getreten, so sehr hatte man es mit extrem empfindlichen, dünnhäutigen Leuten zu tun, die jederzeit bereit waren, einen unter dem kleinsten Vorwand in eine finstere Zelle zu werfen.
    Das Gefängnis bedeutete für ihn den totalen Alptraum. Wenn er daran dachte, bekam er weiche Knie und Atemnot. Erwägte, sich Zyankalikapseln zu besorgen, die er unter der Zunge verstecken würde. Alles war ihm lieber, als eingesperrt zu sein, schon bei dem Gedanken blieb ihm die Luft weg. Und wer würde sich um Marianne kümmern, wenn er nicht mehr da war? Wer würde für sie sorgen?
    Er fühlte sich nicht besonders

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