Die Rastlosen (German Edition)
und runzelte die Augenbrauen. Sie musterte ihn einen Moment, dann machte sie den Mund auf, brachte aber keinen Ton heraus. Er zuckte mit den Schultern, um ihr zu verstehen zu geben, dass da nichts zu machen war. Über manche Dinge, wollte er damit andeuten, kam man einfach nicht hinweg.
Am späten Vormittag, als er gerade aus dem Seminarraum kam und mit einem Bleistift zwischen den Zähnen seine Aktentasche zuklappte – er hatte seinen Studenten die Aufgabe gestellt, sie sollten alles aufschreiben, was ihnen in der nächsten halben Stunde durch den Kopf ging, und insgesamt war das Ergebnis nicht besonders ermutigend, die Dürftigkeit der Ausbeute machte einen sprachlos, man konnte nicht sagen, dass an diesem Morgen ein kreativer Geist herrschte, viele von ihnen waren noch nicht einmal richtig wach oder empfanden eine derartig überraschende Übung an einem Montagmorgen als Zumutung –, am späten Vormittag also wurde er zur Seite genommen und erfuhr, was sich hinter seinem Rücken zusammenbraute. Zumindest wenn er diesem Gewerkschaftsvertreter – der allgemein bekannt war für seinen Kurs über Universitäten im Hochmittelalter – Glauben schenkte, der diese Angelegenheiten akribisch verfolgte und seit dem Frühjahr 2007 nur schlechte Nachrichten verkündete.
Sein Creative-Writing-Kurs wurde ganz einfach abgeschafft. Seine Stelle sollte gestrichen werden. Die von zwei anderen Dozenten auch. Jeden Moment musste hier oder dort mit neuen Sparmaßnahmen gerechnet werden. Es galt, um jeden Preis durchzuhalten, dozierte der Gewerkschafter kopfschüttelnd – ohne dass man so recht verstand, was er damit meinte. Seit Beginn der Arbeiterbewegung hatte man kein solches Chaos erlebt, fuhr der Gewerkschaftsmann fort. Man musste den Tatsachen ins Auge sehen. Eine Frage des Überlebens.
Er nickte zerstreut und nahm die Zigarette, die der Gewerkschafter ihm mit einem herzzerreißenden Seufzer anbot – ja förmlich aufdrängte: »Nur zu. Nehmen Sie noch eine.«
Als er alleine war, ging er hinaus und setzte sich auf eine Bank vor den Backsteingebäuden, in denen auf der einen Seite die Bibliothek untergebracht war, auf der anderen Seite die Verwaltung, dort arbeitete Marianne – er war sich nicht sicher, ob er gleich mit ihr reden wollte, es war aber gut, sie in seiner Nähe zu wissen, wenn er sie brauchte. Seinen Job zu verlieren hatte schon so manchen aus der Bahn geworfen, und er ging nicht davon aus, dass er sich in einer solchen Situation intelligenter verhielt als andere.
Es gab immer noch Leute, die diese saumäßigen Marlboro rauchten, dachte er, während er sich die anzündete, die er sich hinters Ohr geklemmt hatte, als ihm eröffnet worden war, dass er rausgeschmissen wurde, dass Richard und Martinelli sich darauf verständigt hatten, ihn endlich zu feuern, so dass er ohne weitere Umstände aus dem Schulwesen flog.
Hatte sich Marianne also vergebens den Gelüsten von Richard Olso überlassen? Hatte dieser Dreckskerl sie einfach dreist hinters Licht geführt? Allein der Gedanke löste Migräne bei ihm aus. Zum Glück war es an diesem Tag nicht besonders warm, obwohl die Sonne schien. Denn in seinem Zustand – sein Kopf war heiß – hätte ihn ein Sonnenstich an Ort und Stelle dahingerafft.
Wie konnte sie nur so dumm sein, einem solchen Schurken zu vertrauen? Was hatte sie sich davon erhofft?
»Ich habe es dir doch gesagt, oder? Ich hatte es dir gesagt, dass das ein Fehler war.«
Sie hatte sich neben ihn auf die Bank gesetzt, gleich nachdem sie seine Nachricht bekommen hatte. Ihre Schultern waren krampfig hochgezogen, ihre Hände klammerten sich auf beiden Seiten an die Bank, ihr Blick war starr geradeaus gerichtet. »Die-ser ver-damm-te Scheiß-kerl«, sagte er, ohne die Stimme zu erheben, jede Silbe einzeln betonend und resigniert den Kopf schüttelnd. Er schlug sich auf die Oberschenkel. »Ich hoffe, du hast ihm zur Belohnung gegeben, was er verdient hat.«
Langsam setzte die Abenddämmerung ein. Die Stunden seit seiner Entlassung waren vergangen wie im Flug, ohne dass er es bemerkt hätte.
»Was genau willst du damit sagen?«, fragte sie düster.
Er hatte ein Sandwich vor sich. Er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Er zuckte mit den Schultern. »Das ist doch nicht mehr von Bedeutung, oder? Was passiert ist, ist passiert.«
Sie drehte den Kopf auf die andere Seite, dem Sonnenuntergang entgegen, dessen letzte Glut sich in den Fenstern der Bibliothek spiegelte. »Ich habe nicht mit ihm
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