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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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war aber auch nicht schlimmer geworden, so dass er sich dem Manöver mit einem gewissen Gleichmut hingab. Er knabberte an ihren Lippen. Ein weiterer Pluspunkt.
    Eigentlich kam er ganz gut weg. Er war ein bisschen durcheinander, aber wenn er sich bei diesem bedauerlichen Zusammentreffen so einfach aus der Affäre ziehen konnte, wenn das die Strafe war, die man ihm auferlegte, war er im Großen und Ganzen zufrieden. Zweifellos war das eine brenzlige Situation gewesen, aber er hatte sie optimal bewältigt – hatte Gefahren abgewehrt und sich nicht aus der Fassung bringen lassen – und würde die Früchte seiner Arbeit ernten. Wie auch immer, das sollte ihm eine Lehre sein. Man musste stets auf der Hut sein. Wer nicht auf der Hut war, war schon tot. Und er noch schneller als jeder andere, wenn man die schweren Prüfungen bedachte, die ihm auferlegt worden waren.
    Eine Flasche rollte übers Parkett. Die Stimmen aus dem Garten drangen kaum bis zu ihnen vor – dank einer mit Argon gefüllten Doppelverglasung. Er sah ein paar blaue Rauchschwaden vom Grill vorüberziehen, der inzwischen die gesamte Umgebung verpestete. Die kleine Studentenclique am anderen Ende des Raums hatte anscheinend einen Zustand fortgeschrittener Abgestumpftheit erreicht, was ihm durchaus entgegenkam. Unterdessen war viel Zeit vergangen, und Annie fuhrwerkte weiterhin mit eiserner Entschlossenheit in seinem Mund herum. Sie zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen, und nichts ließ auf ein Ende des Kusses hoffen.
    Als er sie wegschieben wollte, klammerte sie sich noch fester an ihn. »Nun seien Sie doch vernünftig«, sagte er und versuchte, ihre Hände zu lösen, die sich wie ein Schraubstock um seinen Hals gelegt hatten. »Seien Sie bitte nicht kindisch, ja? Versprochen ist versprochen. Ich mache gern Späße, Annie, aber da hört es auf. Sie wollten einen Kuss, und Sie haben ihn bekommen. Wir haben uns gerade geküsst, oder täusche ich mich?«
    Diese Spielchen konnten ihn teuer zu stehen kommen – jeden Moment konnte jemand hereinplatzen. Er stieß ihre Arme noch heftiger zurück, doch Annie wollte nichts davon wissen. »Hören Sie, es ist ganz einfach. Wie soll ich Ihnen so noch vertrauen können? Wie soll ich damit umgehen, falls wir uns zukünftig häufiger treffen, wenn Sie mir schon beim ersten Mal so übel mitspielen?«
    Er stieß sie. Sie widersetzte sich. Sie hatte offensichtlich den Dickkopf ihres Vaters geerbt. Er erhöhte den Druck. Sie verzog das Gesicht. Er verdrehte ihr ein Handgelenk. Eine andere junge Frau, mit der er zu tun gehabt hatte, weigerte sich jedes Mal kategorisch, das Bett zu verlassen, so dass er sie packen, an den Rand drängen und von der Kante auf den Boden stoßen musste, damit sie sich wieder anzog. Der Fall lag ein bisschen ähnlich. Was für Szenen einem Frauen machen konnten. Unglaublich. Schade, dass sie oft so verhängnisvoll enden, dachte er, als er ihre Hände von seinem Hals löste, der ihm am Ende richtig weh getan hatte. Schade, dass sie so oft schlecht enden.
    »Beruhigen Sie sich«, fuhr er fort. »Lassen Sie uns morgen noch mal darüber reden, Annie. Dieser Kuss war jedenfalls reinstes Dynamit.«
    »Dynamit?«
    »Ja, genau. Bumm. Wir werden über all das reden. Versprochen. Aber nicht jetzt. Morgen. Einverstanden?«
    Sie sah ihn misstrauisch an.
    »Na los. Sie gehen als Erste raus«, sagte er und schob sie in Richtung Tür. »Wir sehen uns morgen, Annie. Und jetzt ab durch die Mitte.«
    Er sah zu, wie sie sich in Bewegung setzte, nachdem er ihr einen Klaps auf den Po gegeben hatte – was normalerweise ja äußerst schlecht ankam. Auf der Schwelle der Terrassentür drehte sie sich noch mal um. »Reines Dynamit«, meinte er und hob den Daumen. »Alles in Ordnung, Annie.«
    Er hatte Glück gehabt. Jetzt, als er sie zu den anderen zurückkehren und in das Gewimmel der Gäste eintauchen sah, packte ihn nachträglich der eiskalte – der wahrhaftige – Schrecken. Er hatte am Abgrund gestanden. Wahrhaftig am Abgrund. Er hatte dem Tod ins Auge gesehen, wahrhaftig dem Tod. Die Erinnerung daran raubte ihm den Atem. Weiß Gott, in was für einem Schlamassel er sich gerade befinden würde, wenn er nicht prompt die passende Reaktion auf die Probleme gefunden hätte, die Annie verursachte. Weiß Gott, von was für einem fürchterlichen, endlosen Strudel er zu dieser Stunde mitgerissen würde, und einige andere mit ihm.
    Bei dieser Vorstellung kehrte seine Migräne zurück. Er schluckte noch einmal zwei oder drei

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