Die Rastlosen (German Edition)
sich eine Zigarette an. Nicht der kleinste Lichtstrahl fiel von draußen ins Zimmer, kein Geräusch drang herein. Er hoffte, dass Rauchen im Bett in diesem Haus noch immer nicht als Todsünde galt. Er drehte sich zu ihr und rückte näher, um an ihr zu riechen – an ihrem Hals, ihrer Schulter, ihrer Hüfte und wanderte mit seiner Nase einige Millimeter über ihrer Haut entlang. Es war auch sonst keine einfache Lektüre, aber bei Myriam war es ausgesprochen schwierig. Mehrere Texte schienen miteinander verwoben. Mehrere Bilder überlagerten sich. Was nicht per se unangenehm war. Geheimnisvoll, das ja, aber nicht unangenehm, keineswegs, im Gegenteil.
Er fragte sich, ob er zwischen dem Moment, als er an ihrer Tür geklingelt hatte, und jetzt nicht bewusstlos gewesen war. Er konnte sich an nichts erinnern. Verblüffend – der Tag war übergangslos zur Nacht geworden.
Wie dem auch sei, er brauchte diese Frau immer dringender an seiner Seite. Es gab nicht viel, was er dagegen tun konnte. Warum hatte er sie nicht zwanzig oder dreißig Jahre früher kennengelernt und damit Zeit gespart? Was hatten alle diese jungen Frauen gebracht, diese ganzen Studentinnen? Kurz legte sich der Schatten von Marianne über seine Gedanken, dann drückte er seine Zigarette aus.
Seit er mit dieser Frau geschlafen hatte, schien es ihm, als sei er erwachsen geworden. Er hätte nicht sagen können, ob sie es im Lauf der Nacht getan hatten oder nicht, aber sein Akku war wieder aufgeladen, und das würde ihm zugute, kommen, denn im Wald stand ihm wieder eine große Anstrengung bevor.
Es hatte ja so kommen müssen, dass dieser verdammte Polizist von einem Herzanfall – oder was es auch sonst gewesen sein mochte – dahingerafft wurde, und das praktisch in seinen Armen. So etwas hatte ja passieren müssen. Ein solcher Schicksalsschlag. Wenn das nicht bedeutete, dass er verflucht war, was bedeutete es dann? Wenn das nicht der größte anzunehmende Unglücksfall war, was denn dann?
Jammern half nichts. Es war klüger, keine Kräfte darauf zu verschwenden und Dinge zu tun, die der Mühe lohnten. Man musste sich mit seiner Lage abfinden. Ein unerwartetes Problem war aufgetaucht, und er würde es regeln müssen. Man musste sich mit den Karten abfinden, die man zog, sonst wurde man vom Spiel ausgeschlossen. Er kannte die Regeln.
Im ersten Schein der Morgendämmerung stand er auf. Während er sich anzog, betrachtete er die schlafende Myriam, die auf dem Bauch lag und nur noch ihren BH trug. Draußen war es frisch. Leichte, durchscheinende Nebelschwaden hingen über dem See, dessen Wasser allmählich vom Bleifarbenen ins Silberne wechselte. Er fröstelte, gähnte, dann setzte er sich an das Steuer des taubedeckten Fiat, ließ ihn an und fuhr rückwärts bis zur unterhalb gelegenen Straße, wobei er auf die Blumenbeete achtete, die zu Recht der Stolz der Eigentümergemeinschaft waren.
Es war noch nicht einmal sechs Uhr morgens, die Stadt menschenleer, und ironischerweise nahm er wieder die Ringstraße, von der ihn der Polizist am vorigen Tag weggelotst hatte, dann fuhr er in Richtung der Hügel, die eben erst aus dem Dunkel auftauchten.
Bevor er ausstieg, suchte er systematisch die Umgebung ab. Wenn sich die Ereignisse zu überstürzen drohten, die eigene Welt ins Wanken geriet, musste man noch aufmerksamer und vorsichtiger als sonst sein, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Als er sich vergewissert hatte, dass die Bahn frei war, setzte er einen Fuß auf den Boden und schätzte den Weg ab, den er mit dem Polizisten auf den Schultern gehen musste. Er seufzte. Der Typ wog bestimmt achtzig Kilo.
Schon allein, ihn vom Rücksitz zu zerren, kostete ihn erhebliche Mühe – erschwerend kam die panische Angst dazu, auf frischer Tat ertappt zu werden, was jeden Handgriff noch fahriger machte.
Als er ihn auf seinen Rücken geladen hatte und bereit war, den Aufstieg in Angriff zu nehmen, war er schon schweißgebadet und – um das Maß voll zu machen – voller Blut, von oben bis unten beschmiert. Und das ihm, der beim kleinsten Schmutzfleck loszeterte und nur gebügelte Hosen trug.
Es war schwierig, sich in diesem Leben nicht die Hände schmutzig zu machen, dachte er, während er sich durchs Unterholz schlug – gebeugt unter seiner schweren Last, denn Motorradpolizisten waren keine Püppchen.
Zum Glück war er verhältnismäßig fit, zumindest wenn man bedachte, wie viele Zigaretten er sich den lieben langen Tag über ansteckte. Es ging das
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