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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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ans Autofenster und forderte ihn mit einer Geste auf, es herunterzukurbeln.
    Er zögerte kurz, dann kam er der Aufforderung nach – mit zusammengekniffenen Augen. Als der Polizist sein ramponiertes Gesicht sah, wich er zurück. »Meine Güte, was ist denn mit Ihnen los, waren Sie in eine Schlägerei verwickelt?« Er schüttelte den Kopf. »Sind Sie fahrtüchtig?« Er nickte. »Dann werden wir erst einmal das Feld räumen. Nehmen Sie die erste Ausfahrt. Ich folge Ihnen.« Er hatte ein Motorrad. Er trug ein kurzärmeliges Hemd. Der Typ schien von eiserner Strenge.
    Wenn er sich in diesem schrecklichen Zustand befand, wollte er nichts anderes als sein Schlafzimmer, ein dunkles Eckchen oder ein paar Decken, die er sich über den Kopf ziehen konnte – je schneller, desto besser. Das Schlimmste war, wenn er außer Haus irgendwelchen unerfreulichen Pflichten nachkommen musste, wie zum Beispiel das Verhör eines Polizeibeamten zu ertragen, dessen Gehirn, nach dem Glühen in seinem misstrauischen Blick zu urteilen, die Größe einer Murmel haben musste.
    »Soll ich Sie ins Krankenhaus bringen?« Er schüttelte den Kopf. »Sind Sie sicher?« Absolut sicher. Genauso sicher wie die Tatsache, dass jedes Wort des Polizisten sich wie ein Stein mit spitzen Kanten anfühlte, den man ihm in den Schädel rammte.
    »Stehen Sie unter Drogen?« Er schüttelte wieder nur den Kopf. Er war so gereizt, voll unterdrückter Wut, dass er sich fragte, ob nicht bald das Lenkrad zwischen seinen Händen zerbersten würde. Er erinnerte sich an die Sprosse eines Stuhls, die er mit bloßen Händen zerbrochen hatte, während sein Rücken mit einem Gürtel grün und blau geschlagen wurde. Er hatte schon immer viel Kraft in den Händen gehabt – und einen Starrsinn, den man auf die eine oder andere Art bezwingen musste.
    »Bitte nehmen Sie Ihre Hände vom Steuer und steigen Sie aus.«
    »Ich soll aussteigen?«
    »Steigen Sie aus dem Wagen. Ich sage es nicht zweimal.«
    »Sie brauchen es nicht zweimal zu sagen. Ich bin nicht taub. Werden Sie nur nicht übereifrig.«
    Er war sich bewusst, dass er dem Polizisten in diesem Zustand nichts entgegenzusetzen hatte. Sein Gehirn drohte zu zerspringen, und sein Blut pochte in den Schläfen, pulsierte hinter seinen Augen, gerann in der Nase. Er hatte sich schon fitter gefühlt. Aber er hatte sich von einer inneren Regung mitreißen lassen, er hatte nicht nachgedacht, hatte seinen ersten Reflex nicht unterdrücken können – manchmal lief das Fass über, manchmal verweigerte sich der Bürger seinem Dasein als klägliche Marionette –, er stieg aus und fragte sich, was seine Laune ihn kosten würde – er hatte genügend Filme gesehen, um sich eine Vorstellung davon zu machen, mit welchen Methoden die Polizei arbeitete.
    Der Polizist hatte ihn auf eine Betriebsstraße gelotst, die ganz von Scherben und Disteln, rostigem Alteisen und Unkraut übersät war.
    »Tragen Sie eine Waffe?«
    »Eine Waffe? Ganz bestimmt nicht.«
    »Legen Sie bitte Ihre Hände auf die Motorhaube. Beugen Sie sich nach vorn. Spreizen Sie die Beine. Ich muss das überprüfen. Ich werde Sie durchsuchen.«
    »Also, ich träume wohl.«
    »Tun Sie, was ich sage.«
    »Hören Sie, ich habe unglaubliche Kopfschmerzen.«
    »Ja, ich habe auch Kopfschmerzen.«
    *
     
    Zweifellos war die Wahrscheinlichkeit, sie um diese Zeit zu Hause anzutreffen, äußerst gering. Nun wurde es Abend, und die untergehende Sonne überflutete alles mit einem butterblumengelben Licht – dessen Glut das Tragen einer Sonnenbrille erfordert hätte, aber seine war zu Bruch gegangen. Welche Frau in Myriams Situation wäre schon gern einsam durch eine tödlich leere Wohnung geirrt, wo doch der Abend gerade erst begann? Außer natürlich, man wollte elend zugrunde gehen.
    Für ihn stellte sich die Frage gar nicht. Er hatte nicht eine Minute daran gedacht, in seinem Zustand allein zu bleiben, denn er merkte, dass er den Boden unter den Füßen verlor, und in solchen Notfällen war es ihm lieber, wenn er jemand an seiner Seite hatte.
    Wider Erwarten war Myriams Fenster erleuchtet.
    Er schleppte sich zur Sprechanlage. Er sagte seinen Namen, dann glitt er an der Tür hinunter zu Boden.
    Später, mitten in der Nacht, als er mit offenen Augen im Dunkel lag, beruhigte er sich endlich. Sie schlief. Seine Hände zitterten nicht mehr, sein Atem ging langsamer, sein Schädel drohte nicht mehr zu platzen. Marianne konnte es auch nicht besser, trotz ihrer vierzig Jahre Erfahrung. Er zündete

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