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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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sich vor ihm auf und fragte ihn mit vor Wut rosa gefärbten Wangen, was eigentlich mit ihm los sei.
    Trotz seiner mehr als zwanzig Jahre Berufserfahrung hatte er so etwas noch nicht erlebt, ein derartiges Benehmen, eine derartige Respektlosigkeit. Eine derartige Anmaßung, eine derartige Dreistigkeit. Dass er doppelt so alt war wie sie, half ihm gar nichts, sie fuhr ihn brutal an, drängte ihn in die Ecke. Er sah sich flüchtig um und ermahnte sie, leiser zu sprechen.
    »Was haben Sie für ein Problem, na los, sagen Sie’s mir!«, wütete sie.
    In diesem Moment dachte er, dass er ihr wahrscheinlich den Hals umdrehen müsse, um sie zum Schweigen zu bringen, denn sie wurde nicht nur kein bisschen leiser, jetzt überschlug sich ihre Stimme sogar noch. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie entschieden am Arm zu packen und lächelnd beiseitezuziehen.
    »Verdammt noch mal, sind Sie verrückt?«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Was ist denn in Sie gefahren? Geht es um diese Nachhilfestunden? Ist es das?«
    »Sie wissen ganz genau, dass es nicht darum geht«, entgegnete sie keuchend, »stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind.«
    »Wie bitte?«
    »Sie haben mich sehr gut verstanden.«
    »Hören Sie mal, so geht das nicht. Wenn Sie in diesem Ton mit mir sprechen, wird das böse enden, Annie. Sie sind knallrot. Haben Sie einen Sonnenstich?«
    Mit einer heftigen Bewegung entriss sie ihm ihren Unterarm, den er immer noch festgehalten hatte. »Sie tun mir weh.«
    »Gut möglich. Sehen Sie die Spuren in meinem Gesicht? Und ich tue Ihnen weh? Wollen Sie mich verarschen?«
    Jetzt war er an der Reihe, vor Wut zu zittern, denn sie nahm nicht nur in Kauf, dass man auf sie aufmerksam wurde, sondern war auch schuld daran, dass er eine dieser gewaltigen Migränen heraufziehen spürte, auf die er abonniert war. Er kniff die Augen zusammen und fügte hinzu: »Wenn Sie einen Aufstand machen, Annie, werden Sie mir das teuer bezahlen, darauf können Sie sich verlassen.«
    »Dann haben Sie etwas Respekt vor mir.«
    »Was? Ich habe großen Respekt vor Ihnen. Seien Sie unbesorgt. Wenn es das ist, was Ihnen Sorgen macht, kann ich Sie beruhigen.«
    Sie sah ihn einige lange Sekunden wortlos an. »Ihnen ist gar nicht klar, was Sie da machen, oder? Kann das sein? Also echt, Sie flirten mit mir, Sie texten mich zu bis zum Abwinken, Sie machen ein Date mit mir aus, Sie fassen mir an die Brüste, und dann ist auf einmal Schluss? Finden Sie das normal?«
    »Ich Ihnen an die Brüste gefasst? Also jetzt aber…«
    »Als wir auf dieser Bank saßen.«
    »Ah, ich verstehe. Das nennen Sie Ihnen an die Brüste fassen? Ich habe den Zuckerstreuer aufgefangen, das war alles. Ich habe den verdammten Zuckerstreuer aufgefangen, bevor er umgefallen ist, das war’s.«
    Er ging wieder hinein, um nach ben-u-ron® zu suchen. Sie folgte ihm. »Hören Sie, Annie, seien Sie so gut, lassen Sie mich jetzt einfach in Ruhe. Wenn Sie wollen, können wir uns morgen nach dem Seminar sehen. Ich werde Ihnen ein sehr interessantes Angebot machen, was diese Nachhilfestunden angeht. Etwas Konkretes. Aber verstehen wir uns richtig, Annie. Ich kann Ihnen nicht versprechen, eine Schriftstellerin aus Ihnen zu machen. Kein Mensch hat diese Fähigkeit. Dass wir uns da richtig verstehen. Ich kann Ihnen alle Tricks und Kniffe zeigen, ich kann Ihnen helfen, den Stift zu halten, ein paar Zeichnungen zu kritzeln, aber das ist alles, was ich für Sie tun kann. Ich bin kein Zauberer, okay? Denken Sie an ein Kochrezept. Reicht es, wenn ich alle Zutaten habe? Natürlich nicht. Man muss mit dem Genius gesegnet sein. Da kann Ihr Vater seine Kumpel noch so oft vorbeischicken. Das wird nichts daran ändern. Die Sache, von der wir sprechen, kann man nicht kaufen. Wenn dem so wäre, hätte ich schon längst mein Erspartes darauf verwandt, Annie. Ich wäre nicht hier und würde Literatur unterrichten, ich würde selbst welche schreiben. Das müssen Sie doch verstehen.«
    Erneut starrte sie ihn an. »Hören Sie. Ich muss sagen, ich verstehe gerade kein Wort von dem, was Sie mir da erzählen. Ich will einfach nur wissen, warum ich Ihnen nicht gefalle. Ich will wissen, was das Problem ist.«
    Sie waren allein im Raum, abgesehen von einigen leicht angetrunkenen Studenten, die sich gegenseitig umarmten und sie nicht im Geringsten beachteten. »Annie. Also gut. Wenn Sie gekommen sind, um mein Schädelbrummen zu verstärken, sagen Sie es mir einfach. Sagen Sie es gleich. Dann wäre das erledigt.

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