Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
Hintertür. Der Spiegel in der Diele zeigte ihm, wie beängstigend er aussah – er stöhnte leise auf –, all das Blut auf seiner Kleidung und in seinem Gesicht. Er hörte, wie seine Schwester in der Küche mit der Kaffeemaschine sprach. »Könntest du mir den Kaffee diesmal etwas stärker machen? Habe ich vielleicht nicht auf den entsprechenden Knopf gedrückt? Also los, ich bitte dich!«
    Er nutzte die Gelegenheit, um auf Zehenspitzen nach oben zu schleichen. Wenn er das Frühstück ausfallen ließ, konnte er ein Bad nehmen. Er zögerte kurz, dann drehte er die Hähne der Badewanne auf. Was die Körperhygiene anbelangte, hatte er eine gute Erziehung genossen. Eine sehr gute Erziehung.
    Er zog sich aus. Seine gesamte Kleidung war verschmiert und stank. Er betrachtete sich im Spiegel, während das Wasser gluckerte und dampfte. Blutige Rinnsale überzogen sein Gesicht. Niemand wollte in einem derartigen Zustand gesehen werden, aber Marianne überraschte ihn genau in diesem Moment, gerade als er mit dieser funkelnden Maske im Gesicht und diesen Metzgerhänden in die Badewanne steigen wollte.
    Eben das hätte er gerne vermieden, klar. Denn natürlich starrte sie ihn mit großen, vor Entsetzen geweiteten Augen an und schlug die Hand vor den Mund. Natürlich. Das war zu erwarten gewesen. Sie stand da wie versteinert.
    »Siehst du nicht, dass ich nackt bin?«, brummelte er.
    Es hatte keinen Sinn, darüber zu reden. Darüber zu reden brachte rein gar nichts. Ihr gefiel das nicht, und ihm gefiel das ganz gewiss auch nicht, aber da war nichts zu machen. Sie würden nicht noch einmal darüber reden. Nein. »Lass uns heute Abend darüber reden, aber nicht jetzt, sei so nett. Lass mich mein Bad nehmen, okay? Halt mich nicht auf. Du weißt, dass sie mich auf dem Kieker haben. Die lassen mir nichts mehr durchgehen.«
    Er hatte ein Handtuch genommen und sich hastig das Gesicht abgewischt – der Dampf und die Feuchtigkeit im Raum trugen zu einem akzeptablen Ergebnis bei, verhalfen ihm zu einer einigermaßen anständigen, fast normalen Visage. Jetzt verbarg er mit demselben Handtuch sein Geschlecht.
    Irgendwann machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte zurück in ihre Wohnung im Erdgeschoss.
    Bis heute Abend würde er einen Weg gefunden haben, ihr die Sache so zu erklären, dass es für sie beide zufriedenstellend war. Er hörte ihren Wagen davonfahren, während er sich in die Badewanne legte und eine Zigarette anzündete. Als sein Steißbein den Wannenboden berührte, verzog er erneut das Gesicht.
    Natürlich war das alles beängstigend. Solche Schocks waren einfach beängstigend. Er kleidete sich ganz in Weiß, fuhr los, um sein Seminar zu halten, und dachte dabei bereits, künftigen Schmerzen vorgreifend, über den Erwerb eines aufblasbaren, ringförmigen Kissens nach.
    Als er mittags seine Sachen zusammenpackte und sich darüber freute, dass er die Hälfte des Seminars mit der Behauptung verunsichert hatte, Literatur sei nicht zur Beschreibung der Realität geeignet – die andere Hälfte war zu hungrig, um eine maßgebliche Meinung zu äußern –, kam sie schnurstracks und knapp bekleidet auf ihn zu. Eines musste er Annie Eggbaum lassen, sie war hartnäckig.
    »Dynamit, Annie? Ich habe von Dynamit gesprochen? Also ehrlich, das würde mich wundern. Das ist so gar nicht meine Art, mich auszudrücken. Aber wie dem auch sei. Ist ja egal. Setzen Sie sich nicht auf meinen Schreibtisch, Annie, seien Sie so gut. Das ist eine Manie von Ihnen, oder?«
    »Sie haben mich geküsst.«
    »Gut möglich. Natürlich. So was passiert andauernd. Schauen Sie. Der Frühling ist da. Die Leute küssen sich von früh bis spät. Zu meiner Zeit nannte man das flirten. Ich weiß nicht, wie Sie das heute nennen. Ist auch egal. Wir beide haben geflirtet. Selbstverständlich. Ist das nicht in Ordnung?«
    Er fixierte sie einen Moment lang, während er weiter seine Unterlagen in die Aktentasche räumte. Normalerweise wäre sie die Nachfolgerin von Barbara geworden, daran bestand kein Zweifel. Sie sah nicht gut aus, war aber von einer äußerst erregenden Schamlosigkeit.
    »Im Gegenteil, vollkommen in Ordnung«, antwortete sie.
    »Umso besser. Hat Ihnen das Seminar gefallen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe nicht zugehört.«
    Er lächelte sie an und ging hinaus.
    »Ich habe nicht zugehört, weil ich von Ihnen fasziniert bin, Marc. Ich bin von Ihnen fasziniert.«
    »Marc? Sprechen Sie mich jetzt mit meinem Vornamen an?«
    »Wie hätten Sie es denn

Weitere Kostenlose Bücher