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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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wusste genug über Myriam, er musste nicht mehr über sie wissen. Sie erfüllte alle Kriterien. Sie war die perfekte Verkörperung der Frau, von der er – ohne es zu wissen – schon immer geträumt hatte. Daran bestand kein Zweifel.
    »Was soll ich Ihnen sagen? Stellen Sie sich einen Orkan vor. Denken Sie an die zersplitterten Bäume, die aufgerissenen Häuser, die umgepflügten Gärten, die man uns regelmäßig zeigt, denken Sie an die Verwüstungen, die Feuerwalzen, die überbordenden Ozeane, malen Sie sich das aus, Annie, und Sie können sich so in etwa ein Bild davon machen, was die Frau bei mir ausgelöst hat.«
    Sie zuckte mit den Schultern. Stand auf und gesellte sich draußen zu einer Gruppe von Leuten in ihrem Alter, die über die Treppe verteilt standen. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn links liegenließ, dass sie sich weigerte, mehr über die Wirkung zu hören, die eine andere auf ihn hatte, noch dazu diese Frau von bald fünfzig Jahren, quasi eine Großmutter, wenn man so wollte.
    Er winkte ihr freundschaftlich zu, lächelte sie durch die dicke Scheibe der Cafeteria an, aber sie reagierte nicht. Er machte eine Reihe von Gesten, um sich bei ihr zu bedanken, aber sie senkte den Kopf. Er stand auf und kehrte mit seinem Tablett zu den Auslagen zurück. Er nahm sich noch ein Kuchenstück mit Baiserhaube, eine richtige Zuckerbombe, aber er musste Energie tanken, um bis heute Abend durchzuhalten.
    Während er sich auf sein Seminar am Nachmittag vorbereitete, dachte er an diverse Begebenheiten des Tages. Er war gezwungen gewesen, beim Leiter des Fachbereichs, Richard Olso, vorstellig zu werden und ihm zu versichern, dass es ihm gutging, dass er absolut in der Lage war, seinen Verpflichtungen schon heute wieder nachzukommen, Ehrenwort, dass es sich nur um eine banale Unpässlichkeit im Bereich des vegetativen Nervensystems handele. Am Ende hatte er vorgeschlagen, eine Entlastungserklärung zu unterzeichnen, die die Universität von jeglicher Verantwortung entband, wenn es zu einem Unfall kam, was Richard eilig akzeptierte. Das Dokument ließ er sofort in einer Schublade verschwinden – mit seiner leichten Gesichtslähmung, die jedes noch so kleine Lächeln in eine regelrecht unangenehme Fratze verwandelte.
    Nur ein geschärftes Bewusstsein dafür, was auf dem Spiel stand, hatte ihn in diesem Augenblick davon abgehalten, dem Kerl an die Gurgel zu gehen.
    Er hüstelte hinter vorgehaltener Hand. »Übrigens, Richard. Da fällt mir ein. Also. Was wollen Sie eigentlich mit den Gerätschaften machen, die Sie bei uns zu Hause aufgebaut haben? Hm? Sagen Sie mal.«
    »Und? Sind Sie davon angetan?«
    Er verzog das Gesicht. »Hören Sie, Richard, ob ich davon angetan bin oder nicht, tut nichts zur Sache. Ich bin zu Ihrem Bruder gegangen. Ich bin zum Geschäft Ihres Bruders gegangen. Ich kenne die Preise. Sie glauben doch nicht etwa, dass wir uns solchen Tinnef leisten können? Halten Sie uns für Millionäre, oder was? Glauben Sie, wir drucken unser Geld selber?«
    »Beruhigen Sie sich, mein Lieber. Machen Sie sich keine Sorgen um den Preis.«
    »Ich soll mir keine Sorgen um den Preis machen? Habe ich Sie richtig verstanden? Wie bitte? Ich soll mir keine Sorgen um den Preis machen? Und der alte Fernseher, was haben Sie mit dem angestellt?«
    In düsterer Stimmung stieß er die Tür seines Seminarraums auf, hob die Hand, um für Ruhe zu sorgen, und stellte sich, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, vors Fenster. Es würde ihm schwerfallen, das zu akzeptieren. Und es würde nicht besser werden. Das leichte Kribbeln in seinem Nacken kam von den vielen Blicken, die auf ihn gerichtet waren. »Ich möchte diejenigen unter euch, die sich Sorgen machen – und wie ich sehe, sind das nicht wenige –, davon in Kenntnis setzen, dass meine Unpässlichkeit von heute Morgen nicht bedeutet, dass ich mich mit Aids, der Vogelgrippe oder der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit angesteckt habe. Nur Mut, und kühlen Kopf bewahren. Wir werden nicht sterben, Freunde. Ihr braucht keinen Mundschutz zu zücken.«
    Es gab da diesen Schriftsteller, der in aller Munde war, der bestimmt besser war als der Durchschnitt, aber einen schrecklichen Stil hatte, plump, geschwollen, absolut unerträglich, und den die Kritik tatkräftig beweihräucherte, in trauter Einigkeit über den grünen Klee lobte. Er stieß gegen eines seiner Bücher, das aus der Tasche eines Studenten hervorlugte. Er hob es auf und sah es sich an. Überflog ein paar Zeilen.

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