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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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vor sich hinzukriechen, auch bei durchgedrücktem Gaspedal. Er blieb im zweiten Gang und schaltete nur manchmal in den dritten, um ihnen ein bisschen Pause zu gönnen und den Motor zu entlasten, der dröhnte wie ein Flugzeugtriebwerk bei vollem Schub – aber was konnte ihm das anhaben, wo sie doch einen wunderbaren Moment miteinander verbrachten, indem sie im Zickzack durch den verschlafenen Wald fuhren und dabei Gershwin in der Bearbeitung von The Residents hörten, was konnte ihm das da noch anhaben?
    Er hatte zwar nicht vor, das ganze Haus aufzuscheuchen, hatte nicht vor, mehr zu tun als notwendig, aber es passierte gerade eine ziemlich tolle Sache. Das war offensichtlich. Er nahm seine Hand vom Schaltknüppel, legte sie auf den Oberschenkel von Myriam und wandte sich ihr zu, um sie anzulächeln.
    Da der Fiat beinahe zum Stillstand gekommen war, nahm er nun die Hand vom warmen, elektrisierenden und zarten Fleisch seiner Mitfahrerin, legte sie auf das harte Bakelit des Schaltknüppels und konnte gerade noch zurückschalten, bevor er in die nächste Kurve fuhr. Wo sie gegen ihn geworfen wurde und – als wäre sie magnetisch von ihm angezogen – den Kopf auf seiner Schulter liegenließ.
    Hatte er in seinem Leben auch nur eine Frau kennengelernt, die zuhören konnte? Die Antwort war nein. Die Antwort war nein, tausendmal nein, nie und nimmer.
    Bis heute, bis er Myriam kennenlernte. Die ihm nicht nur zuhörte, sondern ihn noch dazu brachte, so viel wie möglich mit ihr zu teilen. Hatte er jemals dieses Gefühl der Leichtigkeit gespürt, das er empfand, je mehr er sich ihr anvertraute? War es verwunderlich, dass nun keine Studentin mehr Gnade in seinen Augen fand?
    Annie Eggbaum konnte ihre Brüste rausstrecken, ihren drallen Venushügel an einer Ecke seines Schreibtischs reiben – wenn sie sich nicht wieder draufsetzte – oder ihre Nachhilfestunden dazu nutzen, ihm ihre Reize noch deutlicher vor Augen zu führen – sie badete oben ohne, während er die Begriffe bigger than life oder less is more erläuterte, die weiterhin von zentraler Bedeutung, aber kaum bekannt waren und noch weniger angewendet wurden, es war himmelschreiend, ein Elend –, dennoch, was sie auch tun mochte, er begehrte sie dadurch nicht mehr.
    Die Sache mit den Studentinnen war für ihn ein für alle Mal abgehakt. Sie neckte ihn damit, als sie unterhalb der Felsspalte vorbeifuhren, mit diesen jungen Frauen, die ihn bestimmt angehimmelt hatten, wenn sie sich im kleinen Kreis einen Film in der Mehrzweckhalle ansahen oder wenn er zwischen den Tischen auf und ab gehend erklärte, warum die besten Schriftsteller schlechte Drehbuchautoren waren und umgekehrt.
    Natürlich musste er genau in diesem Moment an Barbara denken, deren Leiche in der Finsternis ruhte, nicht weit von hier mitten in diesem hohlen Berg, fast auf gleicher Höhe mit dem Ort, an dem sie sich gerade befanden. Er nickte kaum wahrnehmbar. »So viele waren es auch wieder nicht«, verteidigte er sich. »Maßlos übertrieben, was da so rumerzählt wird. Das ist fast schon Legendenbildung.« Da er sichtlich eine Reaktion von ihr erwartete, fuhr sie ihm mit der Hand durch die Haare, was ihn elektrisierte.
    »Hattet ihr was miteinander?«, fragte sie ihn freiheraus.
    Für Sekundenbruchteile erstarrte er. Dann stieß er einen langen, schwermütigen Seufzer aus: »Natürlich nicht, nein! Natürlich nicht, Myriam. Die arme Barbara, ich konnte mir nicht einmal ihren Vornamen merken. Und das, obwohl sie meine beste Studentin war.«
    »Sie hat mir von Ihnen erzählt.«
    »Nur Gutes, hoffe ich.«
    »Ihr Tonfall veränderte sich.«
    »War sie im Stimmbruch?«
    Sie musterte ihn, während im Hintergrund die Lichter des Hauses sichtbar wurden. »Es würde mich nicht stören«, sagte sie zu ihm. »Im Gegenteil. Ich glaube, es würde uns einander näher bringen.«
    Er parkte, ohne darauf zu antworten, stellte den Motor ab, dann wandte er sich ihr zu und nahm ihre Hände, hielt sie zusammen und bedeckte sie mit Küssen. War das das Gefühl der Rührung? War es das? Zugleich verspürte er eine wahnsinnige Lust zu rauchen. Er beugte sich zu ihr hinüber, um sie zu küssen, und erst da bemerkte er das Auto von Richard Olso, das fast gänzlich im Schatten des Schuppens verschwand.
    *
     
    Myriam fand, es sei noch zu früh, dass er bei ihr einzöge, aber er dürfe daraus keinesfalls schließen, sie hege irgendwelche Vorbehalte gegen ihn. Er beschwichtigte sie. Es kam nicht in Frage, dass er wie irgend so

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