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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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unabsehbaren Anfall.
    »Was treiben Sie denn da, mein Lieber?«, hatte Yannick Olso gestöhnt, der mit verschränkten Armen auf der Schwelle von Olso Hi-Fi stand, seinem Spezialgeschäft für Highendgeräte. »Was zum Teufel machen Sie da? Das gibt’s doch nicht!«
    Sein Steißbein hatte ihn für eine Hundertstelsekunde im Stich gelassen, dafür aber so richtig. Da konnte man nichts machen, leider, es gab keine Behandlungsmethode, außer so lange stillzuhalten, bis die Natur ihre langsamen und sorgfältigen Reparaturarbeiten zu Ende gebracht hatte – und bis dahin sollte man das Schicksal nicht herausfordern, indem man schwere Gegenstände hob.
    Er hatte den Karton auf den Gehsteig gestellt, den Staub abgeklopft und seine Haare ausgeschüttelt. »Sie haben gesagt, es würde jemand bei mir vorbeikommen«, hatte er geantwortet, »aber es kam niemand. Das kommt davon. Geiz ist geil? Eine Milchmädchenrechnung.«
    »Trotzdem, das muss man erst mal hinkriegen«, hatte Olso wieder angefangen und betrübt den Kopf geschüttelt. »Dazu muss man schon verdammt ungeschickt sein.«
    »Ja. Tut mir leid. Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben, ich muss eine Tablette nehmen.«
    Seine Migräne hatte wieder eingesetzt. Im Laden stellte sich Yannick Olso gleich wieder hinter die Theke. »Wollen Sie nicht einen Beamer ausprobieren?«, fragte er. »Ein Erlebnis, das müssen Sie ausprobieren. Glauben Sie mir. Ich habe bestimmt das passende Produkt.«
    »Haben Sie nicht einen Wasserspender mit Plastikbechern? Damit ich diese verdammten Dinger hier schlucken kann«, hatte er mit dumpfer Stimme erwidert.
    Winzige Glassplitter funkelten also auf dem Teppich, achtundvierzig Stunden später, im bernsteinfarbenen Licht der untergehenden Sonne, im goldenen Schein ihrer letzten, fast ins Rosa spielenden Strahlen. Wahrscheinlich waren sie aus seinem Hosenaufschlag oder irgendeinem Futter gerieselt.
    Er streichelte das – inzwischen fast starre – Bein von Myriam – die sich noch kurz vor ihrer Abreise hatte epilieren lassen. Dass die Lust, die er für sie empfand, auch nach sechsunddreißig Stunden totaler Nähe kein bisschen abgeflaut war, erstaunte ihn immer wieder. Und ebenso, dass er nichts unternahm, um zu flüchten – das alles war mehr als seltsam. Aber er hatte Mädchen erlebt, die beim Sex Kaugummi kauten, rauchten oder sich den Hals verrenkten, um die Bücher in seiner Bibliothek zu zählen. Wie hätte man Myriam mit denen vergleichen können? Inwiefern vollzogen sie denselben Akt? Wer hätte es mit ihr aufnehmen können, wenn sie ihn atemlos und bebend an ihre Brüste presste? Was spielte es dann für eine Rolle, ob sie Polizistin oder Nonne war?
    Der tote Hirsch lag auf der Ladefläche eines Kleinlasters, und obwohl er die Direktion angerufen und verlangte hatte, dass sie dieses unerträgliche Ding vom Parkplatz entfernen ließ, war nichts passiert – man hatte ihnen lediglich eine zweite Flasche Champagner geschickt. So ein Pech, dachte er wieder, als sein Blick auf dem Tier ruhte, dessen Blut den Boden des Kleinlasters verschmiert hatte, ehe es getrocknet und schließlich schwarz geworden war. Er befand sich hinter dem Fenster im Zwischengeschoss, wo ihr Bett stand, und hatte deshalb einen relativ freien Blick auf den Hirsch und dessen offene Augen. Er hatte verlangt, dass man ihn zumindest mit einer Plane abdeckte, aber anscheinend hatte man diese Idee schon lange verworfen, und auch er dachte inzwischen nicht mehr daran, sich darüber zu beschweren. Ohne besonderen Grund. Er nahm es hin. Um die Schnauze des Tiers glitzerte getrocknetes Blut wie ein Zierdeckchen aus schwarzem Lack. Er hätte gern die Zeit zurückgedreht und das Steuer eine Sekunde früher herumgerissen. Er nahm sich eine Zigarette. Auf dem Parkplatz bewegte sich nichts. Ein paar schwarze Vögel – die unmöglich zu bestimmen waren – verschwanden am Horizont, ein paar Zweige zitterten kaum wahrnehmbar in der lauwarmen Luft.
    Yannick Olso hatte bemerkt, wie blass er war, und ihm angeboten, sich zu setzen, bis er sich wieder besser fühlte. Aber als er zu Hause ankam und hinter Richards Alfa Romeo parkte, glühte sein Kopf noch immer. Es war höchst selten, dass die Tabletten mit seiner Migräne fertig wurden, auch wenn er die drei- oder vierfache Dosis nahm, und das einzige wirkungsvolle Heilmittel, das er kannte und das er ausprobiert hatte, bestand darin, seinen Kopf in Mariannes Schoß zu legen, ihr seine Stirn und seine Schläfen zu überlassen,

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