Die Rastlosen (German Edition)
ojeoje!«
Er versuchte zu vergessen, dass sie kein einziges Haar mehr zwischen den Beinen hatte – dass diese Gefälligkeit nicht für ihn bestimmt war –, aber das war nicht gerade einfach, denn das Bild hatte sich tief in sein Inneres eingebrannt.
Was war jetzt zu tun? In ein paar Stunden brach ein neuer Tag an, und das Leben ging weiter, und alles würde wieder so unerträglich werden wie zuvor. Der Montagmorgen war schon in normalen Zeiten der schlimmste Tag der Woche. Richard begann mit den Neuerscheinungen, die in den Buchhandlungen angekommen waren, der wöchentlichen Lieferung, und wenn eine Niete dabei war, ein absolut belangloser Autor, dann konnte man sicher sein, dass Richard eine Lobrede auf ihn hielt, seine erhabene Schreibweise anpries, seinen faszinierenden Stil, seine prächtige Sprache usw., das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Und danach sollte man noch unterrichten können und beteuern, dass Literatur Leben retten oder Lepra heilen konnte oder weiß Gott was.
Er stellte sich Richards Rücken voller Brandblasen vor und fragte sich, ob seine eigene Universitätskarriere noch eine Zukunft hatte. Diesmal flog er ganz bestimmt raus, Richard würde ihm die Tür weisen, und er konnte nichts dagegen tun.
Es war nicht gut, in diesen wirtschaftlich unsicheren Zeiten seinen Job zu verlieren, denn die Banken waren hart und durchtrieben und die Finanzämter regierten mit eiserner Hand. Er aß sein Sandwich auf und empfand plötzlich eine Art Unruhe. Dann dachte er an etwas anderes.
Verliebt sein reichte anscheinend nicht. Oder genauer gesagt – verliebt sein reichte nicht mehr. Die Salatblätter waren ein bisschen schlaff, die Toasts ein wenig kalt geworden. Die Vorstellung, dass man die Wahl hatte im Leben, war sicherlich angenehm, aber sie entsprach nicht der Wahrheit, denn die Wahrheit war alles andere als lustig.
Er strich ihr über die Wade und bedankte sich bei ihr für die zweifellos besten Momente seines Lebens, für dieses Gefühl, das er durch sie entdeckt hatte, würde er sie wie eine Heilige verehren und ihr dafür Dank sagen, absolut, tausend Mal. Es spielte keine Rolle, dass sie diese gigantische Farce inszeniert hatte, um sich an ihn heranzumachen, diese Farce von wegen Ehemann, der in den Bergen Afghanistans vermisst wurde, das alles erschien so schrecklich nebensächlich im Vergleich zu dem, was er bekommen hatte.
Er fragte sich, ob sie das alles selbst erfunden hatte oder ob ihr dabei geholfen wurde, diese Geschichte von dem Unteroffizier auszutüfteln, der irgendwo in der Felswüste verlorengegangen war – wie auch immer, die Vorstellung, dass just in diesem Moment in unserem Namen gekämpft wird, in einem für uns nicht ganz klar zu lokalisierenden Teil der Welt, empfand er als ziemlich verstörend, dass dort Blut floss, Männer geköpft wurden und Frauen vergewaltigt.
Er hatte es mit einer richtig guten Schauspielerin zu tun gehabt. Bei diesem Gedanken lachte er in sich hinein, denn er wusste es zu schätzen, wie sie ihn an der Nase herumgeführt hatte, wusste zu schätzen, wie Lüge und Wahrheit ineinandergriffen. Er prostete ihr zu, und wenn er sich auch im Moment nicht zu der Behauptung verstieg, dass er sich von ihren wunderbaren Händen mit Freuden hätte ins Gefängnis werfen lassen, so fischte er doch sein Telefon aus der Tasche und scrollte sich durch einige Fotos, auf denen sie gemeinsam zu sehen waren, ans Bettende gelehnt, das Laken über die Knie gezogen, verstrubbelt und lächelnd. »Ah, die sind gut. Richtig gut«, sagte er. »Bald braucht man keinen Blitz mehr. Die erfinden jeden Tag was Neues.« Er betrachtete sie zärtlich, bekümmert über ihren blassen Teint – die ausbleichenden Lippen, die spröden, grauer werdenden Wangen.
Annie Eggbaum rief an, sie wollte wissen, ob er ihr einen Termin nennen könne, und er antwortete, sie solle sich einen aussuchen, ihm wäre jeder Vorschlag recht. Annie reagierte zunächst skeptisch, wunderte sich über diese neue Haltung ihr gegenüber. »Oft heißt es, Frauen seien sprunghaft«, gestand er, »aber bei Männern ist es nicht viel anders. Wir sind nicht besser, wissen auch nicht immer, was wir wollen. Wenigstens haben wir das gemeinsam. Diese Kehrtwendungen. Diese Irrungen. Können Sie mir folgen, Annie?«
»Mein Vater winkt mir. Er bedeutet mir, ich solle Ihnen Grüße von ihm bestellen.«
»Sehr gut, Annie. Die Botschaft ist angekommen.«
»Hören Sie, Marc. Darf ich Ihnen etwas sagen?«
»Natürlich.
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