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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Wolken schwebte.
    Er drückte ein paar Küsse auf den großzügigen Busen, den Myriam ihm darbot, da sie nun auf dem Rücken lag, saugte ein wenig an den Brustwarzen, während seine Gedanken weiterwanderten, sein Blick sich im Ungewissen verlor. Er streichelte Myriams Schenkel, aber er dachte an seine Schwester und das Trauma ihrer Trennung.
    Er bestellte Aperitifs und Clubsandwiches. Man hörte Stimmen, das Platschen eines Kopfsprungs, das Prasseln der Spritzer, Gelächter – nur einige hundert Meter von ihnen entfernt.
    Es war offensichtlich, dass diese Sache nicht wiedergutzumachen war. Dass er nie wieder einen Fuß in dieses Haus setzen konnte – vor einigen Tagen hatten sie es noch als ihr gemeinsames Heim bezeichnet –, ganz wie sie es ihm hinterhergerufen hatte, als er mit knirschenden Zähnen durch den Garten in Richtung seines Wagens abgezogen war, während Richard quiekende Schreie ausstieß, weil er in voller Fahrt einen Topf kochendes Wasser über Hintern und Rücken bekommen hatte. Solche Sachen waren nicht wiedergutzumachen.
    Immerhin ließ der Blick, den seine Schwester und er gewechselt hatten, bevor er das Feld räumte – »Zieh Leine!!«, hatte sie ihm mit tonloser Stimme zugeraunt, »geh mir aus den Augen, du verdammter Mistkerl!!« –, keine Zweifel aufkommen. Er schätzte, es würde Jahre dauern, bis sie zulassen würde, dass er wieder mit ihr redete oder sie ihn überhaupt näher als hundert Meter heranließ, vielleicht sogar Jahrzehnte.
    Er war nicht mehr sonderlich jung. Auf längere Sicht zu planen wurde allmählich unheimlich. Einen Moment lang fragte er sich, ob er sich nicht selbst mit Benzin übergießen sollte, damit die Waagschale sich zu seinen Gunsten neigte – wie damals, als er sich eines schönen Morgens ein Schälmesser in den Oberschenkel gebohrt und damit seine Mutter gezwungen hatte, Hilfe zu holen, anstatt ihn zu schlagen, und sein Vater seinen Gürtel hatte abnehmen müssen, um ihm einen Druckverband zu machen.
    Er hatte Mitte der siebziger Jahre eine Kurzgeschichte über dieses Thema geschrieben, als er zu spüren glaubte, dass die Beschäftigung mit einer bestimmten Wortfolge, die sich in seinem Kopf bildete, ein seltsames Gefühl bei ihm auslöste und nur noch getippt werden musste, mit einem Anfang und einem Ende dazu, aber das war leider ein Fehlalarm gewesen. Er erinnerte sich, wie beharrlich seine Schwester ihm über Jahre hinweg immer wieder gesagt hatte, dass sie an ihn glaube, an ihn und sein Potential als Schriftsteller, mit der Begründung, er sei doch so gut beim Scrabble, und weil er sich manchmal traute, ein paar lausige Zeilen zu Papier zu bringen. Er war gescheitert, daran bestand kein Zweifel, aber zumindest hatte ihm das blinde Vertrauen von Marianne und ihre felsenfeste Überzeugung, dass ihr Bruder eine besondere Begabung besaß, dabei geholfen, wieder Mut zu fassen und nicht von der schrecklichen Tragödie zerstört zu werden, die er herbeiführen musste, nachdem er eines Abends zu dem Schluss gekommen war, dass seine Mutter ihn am Ende umbringen würde – hatte sie ihn nicht kurz davor die Kellertreppe hinuntergeworfen und dann mit einem Stock verprügelt?
    Manchmal, wenn er im Winter durch den Wald marschierte und ein eisiger Wind aufkam, flammten an einigen Knochen die Schmerzen wieder auf. Man hatte drei Brüche gezählt, aber es waren mehr, er hatte sie nicht auf alle hingewiesen – seine Nase war zum Beispiel erst zwei Tage später blau angelaufen.
    Er hatte gewartet, bis die Flammen aus dem Dach emporschlugen, bevor er daran dachte, zurückzuweichen oder ganz einfach nur zu reagieren – er war gerade erst vierzehn und stand vor einer Art gigantischem, leuchtendem Scheiterhaufen, der dröhnte wie eine Flugzeugturbine, und dieser Anblick lähmte ihn –, so dass glühende Brandfackeln um ihn herabstürzten wie ein Meteoritenregen. Schließlich war er über seine eigenen Füße gestolpert und unglücklich hingefallen, als er die Straße betrat, auf deren Asphalt er die Haut seiner Arme, Beine und des halben Gesichts einbüßte, während sich hinter ihm der himmlische Wille vollzog und Funken durch die lodernde Luft wirbelten, dann war er in Ohnmacht gefallen, bevor Marianne ihn fand. Der erste Feuerwehrmann, der dazustieß, war niedergekniet und hatte ihn in den Arm genommen, ihm den Kopf gestreichelt und ihn mit vor Mitleid verzerrtem Gesicht getröstet: »Alles in Ordnung, mein Kleiner, ach, mein armer Kleiner, alles in Ordnung,

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