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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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gebeten hatte, einen Schritt zurückzutreten, sich ein bisschen zusammenzureißen.
    Einen Moment lang war ein schwarzer Schleier auf ihn herabgesunken. Die Campusgebäude hatten zu glitzern begonnen, der Rasen funkelte, flammte auf wie Schwefel. Dann hatte er sich wieder gefangen. Zum Dank hatte er es zugelassen, dass sich Annie ihm an den Hals warf und sich zwei oder drei Minuten an ihm rieb.
    »Lassen Sie die Finger von ihr. Ruhen Sie sich bei mir aus«, meinte sie hoffnungsvoll.
    »Sagen Sie, Annie, ist das eine Wette? Haben Sie eine Wette abgeschlossen?«
    Diese Beharrlichkeit, dieser Eigensinn. Eigentlich hätte sie schon allein für diese Eigenschaften mehr Aufmerksamkeit verdient, aber er hatte keine Zeit für sie – seit er seinen Blick erstmals Myriam zugewendet hatte, seit er die elektrisierende Wirkung gespürt hatte, als er sie berührte, seit er zwischen ihren weißen Schenkeln festsitzend sich vor ihrer schäumenden Quelle niedergekniet hatte, usw. Er war nach Hause gefahren und hatte sich hingelegt.
    Sein Telefon hatte mehrmals geklingelt. Wahrscheinlich waren etwa zwanzig angehende Schriftsteller von einem Anflug von Panik ergriffen worden, weil sie dachten, sie würden eines seiner Seminare versäumen, oder Richard versuchte ihn zu erreichen und wollte wissen, was los war. Er war einen Gutteil des Nachmittags auf dem Rücken liegengeblieben. In einen Halbschlaf versunken.
    Er hatte im ersten Stock ausgeharrt und bis zum Abend gegrübelt – auf seinem Bett mit der wunderbar komfortablen Übermatratze, es war nun mal wichtig, gut zu schlafen –, das Haus lag leer und still, und die Welt drehte sich wie ein dunkler Kieselstein durch die goldbraune Dämmerung, dann war er zu dem Schluss gekommen, dass er nichts bereute. Dass in der Bilanz die positiven Seiten bei weitem überwogen und der zu bezahlende Preis keine Rolle spielte. Er setzte sich auf, griff nach seinem Telefon und reservierte ein Doppelzimmer an einem ruhigen Ort.
    Er hatte sich neue Sportschuhe gekauft und brannte darauf, sie auszuprobieren. Er hatte Lust, ein bisschen zu laufen, in den Wald zu gehen. Vielleicht in Richtung der Felsspalte, er hatte sich noch nicht entschieden, er musste raus, durchatmen. Der Gedanke, mit ihr übers Wochenende wegzufahren, leuchtete wie ein Objekt, das vom Himmel gefallen war, wie eine Laterne, die in der Nacht geschwenkt wurde und den Weg nach Hause wies, die letzte Etappe. Den Weg nach Hause wies. Die letzte Etappe. Im Grunde war alles klar.
    *
     
    Anstelle eines Zimmers hatte er einen Bungalow gebucht, und zwar den abgelegensten, und einen großen Zigarettenvorrat eingekauft.
    Nun kannte er die süße Seite des Lebens. Er wusste jetzt, was eine Frau über den Sex hinaus geben konnte. Jetzt war er auf dem Laufenden. Er fühlte sich gelöst.
    Er schob sie behutsam zur Seite – sie rutschte dauernd weg, sackte zusammen –, dann stand er auf und sah hinaus. Der Kotflügel des Fiat war so verbeult, als hätte er einen Baum gerammt. Während er geistesabwesend den Wagen durch den Wald gesteuert hatte, vielleicht noch etwas durcheinander von Annies Hinweis ein paar Tage vorher, hatten sie einen Hirsch angefahren – das Tier war plötzlich im Gegenlicht aufgetaucht, und sie hatten es voll erwischt.
    Die Hoteldirektion hatte eine Flasche Champagner aufs Zimmer geschickt. Die sie fast augenblicklich getrunken hatten, ohne auch nur Atem zu holen. Ihnen war nichts passiert, aber das Tier hatte über lange Minuten hinweg mit dem Tod gerungen. Sie hatten sich hastig ausgezogen, sich nicht einmal die Zeit genommen, ihre Taschen auszupacken, und dieses großartige Wochenende mit einer jener Sexorgien eingeleitet, wie sie die Nähe des Todes entfesseln kann – das Tier hatte sein Leben ausgehaucht, als sie beschlossen, es an den Straßenrand zu schleppen, es wog fast hundert Kilo, und eine grässliche Blutspur zog sich über den Asphalt –, als schließlich die Polizei eintraf.
    Sechsunddreißig Stunden später hatte sich das Bild nicht verändert, mit Ausnahme des Lichts. Wälder zogen sich zum See hinunter, die Berge in der Ferne, ein klarer Himmel. Draußen war es lau, durch das große Fenster spürte er die Wärme auf seiner nackten Haut und besonders auf seinen Hoden. Bald würde der See sich in einen flammenden Ozean verwandeln, das Ufer vom Feuerschein überzogen. Er griff nach seiner Sonnenbrille und setzte sie auf.
    Letzten Endes war das Haus bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Letzten Endes war

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