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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Schriftsteller. Er hatte ihr mitten in der Nacht eine Erzählung von Charles d’Ambrosio vorgelesen, und obwohl sie vorgab, nichts von Literatur zu verstehen, konnte er feststellen, dass sie einen sicheren Geschmack und ein ziemlich gutes Gehör hatte. Sie hatte etwas Besseres als ihn verdient, das war gewiss.
    Während er sich in der Stille der Nacht an der ausgerauchten Zigarette eine weitere anzündete, dachte er erneut an das Geschlecht seiner Schwester, das nun so glatt war wie Aprikosenhaut oder feines Leder von hervorragender Qualität, so blass wie eine frische Mandel, auf jeden Fall regelrecht umwerfend – allein der Gedanke, Richard könne mit seiner Hand darüberstreichen, war für ihn buchstäblich ein Schlag ins Gesicht.
    Myriam meinte, er solle sich nicht mehr darum kümmern, welchen Weg seine Schwester ging. Sie sah ihm direkt in die Augen. Seit sie anderntags bei herrlichem Wetter in das Hotelzimmer eingezogen waren, hatte sie ihn immer wieder daran erinnert, dass sich Mariannes und sein Schicksal nun trennten, dass sie endlich wieder ein normales, natürliches Leben führen würden, wieder in eine Welt zurückkehren würden, in der Brüder nicht mit ihren Schwestern lebten, fast wie Ehemann und Ehefrau. Er mochte noch so vehement protestieren, vor allem was diesen letzten Punkt anbelangte, er spürte, dass er sie nicht hundertprozentig überzeugte.
    Mit einem Kuss zog sie ihn herunter und schwang sich auf ihn – und ließ ihn Momente erleben, für die er jederzeit kurz entschlossen seine Seele verkauft hätte –, sie wand sich jetzt auf ihm wie ein Wurm und kniff sich dabei in die Brustwarzen, während er sich in ihr aufbäumte wie eine startende Rakete.
    Er machte seinen Kopfhörer lauter, um Downtown von Greg Brown zu genießen, und biss ein wenig an seiner Lippe herum. Myriam war inzwischen in seinem Arm eingeschlafen, und es gab nichts mehr, was er sich noch gewünscht hätte. Nicht einmal, der Schriftsteller zu sein, der er nie geworden war – was ihn mit einem gewissen Stolz erfüllte, wenn man bedachte, was das für ihn bedeutete. Die Intensität seiner Gefühle für die Frau an seiner Schulter verblüffte ihn immer wieder, machte ihn geradezu sprachlos.
    Hatte er es jemals für möglich gehalten, dass ihm so etwas widerfahren könnte? Ihm war, als stünde er unter Drogen, als hätte der Rausch sich im Laufe der Stunden und Tage verstärkt.
    Die Lage in Afghanistan verbesserte sich nicht wirklich, aber das schien sie nicht zu beunruhigen. Lächelnd sah sie ihn an, schüttelte den Kopf und sagte wieder, dass sie verrückt sei. »Wie konnte ich nur so eine Beziehung eingehen…?!«, rief sie von Zeit zu Zeit und machte ein entsetztes Gesicht. »Ich bin verheiratet…! Wie kann nur so viel Wahnsinn in einem so kleinen Hirn wie dem meinen zusammenkommen.«
    »Wir können dieses Land nicht aufgeben, nachdem wir es ins Chaos gestürzt haben, Myriam. Das hätte man sich vorher überlegen müssen. Ich meine die Truppen, die wir dort haben. Wenn man erst einmal angefangen hat, muss man es durchziehen, da gibt es kein Zurück mehr.«
    »Ich konnte nicht ahnen, dass sich die Dinge zwischen uns so entwickeln würden. Das wollte ich Ihnen damit sagen.«
    »Ich werde mit ihm reden. Wenn er wiederkommt, werde ich mit ihm reden. Aber ich halte das für ziemlich unwahrscheinlich. Er hat schon zu lange kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Stellen Sie sich darauf ein, dass jemand an Ihrer Tür klingeln wird, stellen Sie sich darauf ein, dass man Ihnen eine schlechte Nachricht überbringen wird. Und wahrscheinlich einen Orden dazu.«
    »Das wird sich zeigen. Ich denke nicht darüber nach. Sprechen wir nicht von ihm. Schauen Sie mich an. Sind Sie der, auf den ich gewartet habe? Sind Sie der, nach dem ich so lange gesucht habe?«
    Gerührt rollte er sich auf sie und schloss sie in die Arme. Dieses erste gemeinsame Wochenende, zwei Stunden von zu Hause entfernt, auf der gegenüberliegenden Seeseite, stieg ihnen etwas zu Kopf – sie redeten dümmliches Zeug, sahen sich dümmlich an und schwebten auf einer dümmlichen Wolke, von der sie nicht herabsteigen wollten.
    Einige Tage zuvor hatte er den Tatsachen ins Auge blicken müssen. Annie Eggbaum hatte einen besonders duftenden Tag genutzt, um sich an ihn zu schmiegen und ihm die Ergebnisse der Nachforschungen ins Ohr zu hauchen, die die Schergen ihres Vaters angestellt hatten. Er war zwar verärgert, hatte ihr aber dennoch zugehört – nachdem er sie

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