Die Ratten im Maeuseberg
Monsieur“, sagte eine Stimme hinter mir.
Die Information (wenn man das
so nennen konnte!) kam aus einem Fenster gegenüber, von einer Frau mit üppigem
Busen, der auf der Fensterbank ruhte.
„Wissen Sie, wo er ist?“ fragte
ich.
„Bestimmt auf dem Land“,
antwortete die aufmerksame Nachbarin. „Bei dem Wetter, nicht? Er ist heute morgen weggefahren.“
Bei dem Wetter, nicht? Das galt
auch für mich. Ich sollte auch aufs Land fahren. Also nahm ich Kurs auf das
Chevreuse-Tal. Mein Gefühl sagte mir, daß ich mich beeilen mußte.
* * *
Ich hatte keine Ahnung, wo ich
das Haus von Auguste Courtenay in Saint-Rémy-les-Chevreuse suchen sollte. Es
dauerte ‘ne Ewigkeit, bis ich es endlich entdeckte. Ich stand vor einem
schloßähnlichen Bau, mitten in einem kleinen Park. Das alte Ehepaar, das Marie
Courtenay von klein auf kannte, war bäuerlicher, als es die Polizei erlaubt. In
Seine-et-Oise scheint das wohl üblich zu sein. Mit Händen und Füßen konnte ich
den beiden Leutchen verständlich machen, was ich wollte, und verstehen, was sie
sagten. Endlich kapierte ich: Ja, Monsieur war mit der Kleinen gekommen, die
Kleine war hier im Schloß geblieben, Monsieur war wieder weggefahren und dann
wiedergekommen, nein, jetzt waren Monsieur und die Kleine nicht mehr im Schloß.
Direkt aus der Eingeborenensprache übersetzt. Mit einem Satz: Ich war umsonst hierher
gerast.
Auf dem Weg zurück nach Paris
schimpfte ich viermal. Erst mit mir, dann mit einem Lastwagen, der mir die
Vorfahrt nahm, und mit einem Citroen, den ich überholte. Und dann mit dem
Himmel. Das Wetter war auch schon seit einigen Tagen zu schön gewesen. Es
konnte nicht so bleiben. Immer dasselbe mit dieser Ile-de-France! Die Sonne
verschwand, der Himmel bedeckte sich. Als ich durch Orsay kam, schüttete es wie
aus Kannen.
* * *
Paris war noch trocken; aber
nicht mehr lange. Schwarze Wolken hingen drohend über der Stadt. Die
Sonnenstrahlen, die vereinzelt durchkamen, waren schmutziggelb. Es war noch
einige Grade heißer geworden. Die Luft erinnerte an ein Dampfbad. Von weitem
kündigten rollende Donner das nahe Gewitter an.
Und ich? Ich fuhr wieder in die
Rue des Camélias. Bis vor kurzem hatte ich noch gar nicht gewußt, daß es diese
Straße überhaupt gab. Jetzt kannte ich sie besser als meine Westentasche. Ich
hatte kein Ahnung, wohin das Ehepaar Courtenay
gefahren war. In ihr Haus jedenfalls nicht. Fluchend machte ich mich dünne.
So langsam war es an der Zeit,
Monsieur Gaudebert Bericht zu erstatten. Diese eingebildete Wache auf dem
Postamt konnte von mir aus noch ‘ne Weile dauern. Wenn ich’s geschickt
anstellte, konnte das meine Rente sein. Besser also, ich spielte weiterhin den
Eifrigen.
Boulevard Brune, Boulevard
Jourdan. Ich hielt vor dem gemütlichen Café gegenüber der Cité
universitaire. Dort treffen sich alle Nationalitäten und alle Rassen unter
dem Zeichen von Coca-Cola, Flipper und sonstigem. Nachdem ich mir einen
eiskalten Aperitif genehmigt hatte, machte ich mich auf die Socken zur Rue du
Douanier.
12 .
Gewitterneigung
Der ehemalige Oberstaatsanwalt
empfing mich wieder in seinem Arbeitszimmer. Die hübsche Rote mit den
goldbraunen Augen war bei ihm. Sie trug einen anderen Rock als neulich, aber
denselben weißen Jerseypullover, der ihre Brust so hübsch hervortreten ließ.
Sie sah zum Anbeißen aus, Madame Gaudebert. Wie ich die beiden, Madame und
Monsieur, so vor mir sah, fühlte ich mich unangenehm berührt, so als wäre ich
zu kurz gekommen. Das hat man davon, wenn man zu einem Psychiater geht!
„Ah! Monsieur Burma!“ rief
Monsieur Gaudebert mir entgegen und stand auf. „Ich glaube, Sie haben meine
Frau bereits kennengelernt. Aber ich bin nicht dazu gekommen, Sie einander
vorzustellen. Henriette, das ist Monsieur Burma.“
Henriette schenkte mir ihr
zauberhaftestes Lächeln. Während wir die üblichen Höflichkeiten austauschten,
schielte ich unauffällig auf ihre Hand. Vielleicht war ihr bei dem Wetter der
Ehering zu heiß geworden. Jedenfalls trug sie keinen.
„Nun“, begann Gaudebert und
setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. Henriette blieb neben ihm
stehen. „Also, sind Sie weitergekommen?“
Schweißtropfen perlten auf
seiner breiten Stirnglatze. Vor seinem Blick hatten die Angeklagten früher den
Kopf gesenkt, bevor er ihn gefordert und bekommen hatte. Jetzt flackerte in
diesem Blick eine Spur Unruhe.
„Sie können vor meiner Frau
offen reden“, fügte er hinzu, als er
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