Die Ratten im Maeuseberg
sah, daß ich zögerte. „Sie weiß Bescheid.“
„Nichts Neues“, verkündete ich.
„Nur daß man mich auf dem Postamt so langsam schief ansieht. Aber kein Ferrand,
weder gestern noch heute.“
Gaudebert runzelte die Stirn.
Das verkrampfte Lächeln im Mundwinkel verstärkte sich. Aufmerksam lauschte er
dem dumpf rollenden Donnern über L’Hay-les-Roses.
„Das gefällt mir gar nicht“,
murmelte er schließlich. „Das ist nicht normal.“
Im Gegenteil: das war völlig
normal. Aber ich sagte es ihm natürlich nicht. Ich lächelte:
„Nichts Neues ist ‘ne gute
Nachricht.“
Er ließ mich alleine lächeln.
„Der Meinung bin ich nicht. Ich
finde es nicht normal, daß der Mann nicht in Erscheinung tritt. Was sollen die
Anweisungen, wenn er sich selbst nicht an sie hält. Das macht mich unruhig...“
Ich zuckte die Achseln:
„Er ist vorbestraft. Könnte
sein, daß er mit dem einen oder anderen Gesetz in Konflikt geraten und dem Arm
dieses Gesetzes in die Falle gelaufen ist. Wie gesagt: Ich kann das nachprüfen,
wenn Sie’s wünschen.“
Er hörte mir anscheinend nicht
zu.
„Ich möchte wissen“, sagte er,
wie zu sich selbst, „ob der Mann nicht irgend etwas im Schilde führt... etwas,
das ich nicht verhindern kann... Es ist nicht normal, daß sich ein Erpresser
nicht an seine eigenen Anweisungen hält“, wiederholte er.
Monsieur Gaudebert war so
durcheinander, daß er mich und sogar sich selbst vergaß. Seine rechte Hand
wanderte vom Schreibtisch zur Hüfte seiner Frau, streichelte sie mechanisch.
Die junge Frau erschauerte, preßte die Lippen zusammen. Ein Anfall von Scham
oder so. Dann fing sie sich wieder, nahm die Hand ihres Mannes und unterbrach
so das Streicheln. Dabei sah sie aus dem Fenster. Ein heftiger Wind hatte sich
plötzlich erhoben und fegte durch die Bäume des Parc Montsouris. Gaudebert kam
wieder zu sich und zog seine Hand zurück.
„Gut“, sagte er. „Ja, prüfen
Sie das bei der Polizei nach. Wir müssen Klarheit haben. Aber seien Sie
vorsichtig: keinen Namen, haben Sie mich verstanden?“
„Ich geb Ihnen mein Wort.“
Ich wischte mir mit meinem
Taschentuch den Schweiß von Stirn und Nacken.
„Entschuldigen Sie“, sagte ich.
„Aber es ist so schwül.“
Er nickte verständnisvoll.
„Und wenn dieser Ferrand nicht
eingesperrt ist, beobachte ich weiter den Schalter für postlagernde Sendungen?“
fragte ich nach.
„Was können wir sonst tun?“
„Tja, stimmt.“
Gaudebert stand auf. Seine Frau
trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen.
„Ich bring Sie hinaus“, sagte
er.
Ein Blitz zuckte durch die
Wolken. Kurz darauf folgte der Donner.
„Hm... Ich glaube, Sie werden
einen Guß abbekommen.“
Hörte sich nicht nach ‘ner
Einladung zum Essen an. Ich erwiderte, das mache mir nichts aus, verbeugte mich
zum Abschied vor der jungen Frau und ging mit dem ehemaligen Oberstaatsanwalt
nach unten.
„Wenn also dieser Ferrand nicht
eingesperrt ist, warte ich im Postamt auf ihn. Wie gehabt. Aber... ‘ne richtige
Arbeit ist das nicht. Wenn ich den Hintergrund dieses Erpressungsversuchs
kennen würde...“
Mit absoluter Aufrichtigkeit
antwortete mein Klient:
„Monsieur Burma, ich habe nicht
die geringste Idee.“
Die ersten dicken Tropfen fielen
auf den knochentrockenen Bürgersteig der Rue Nansouty.
Hätte der Brief des Erpressers
mit den ausgeschnittenen Buchstaben nicht den Namen Ferrand genannt, dann hätte
ich den Erpresser nicht lange suchen müssen. Henriette liebte ihren Mann nicht
übermäßig. Sie hätte gut das ganze Theater in Szene setzen können, um ihm das
Leben zu versauern.
Im Flur hing ein Spiegel.
Eigentlich sollte er Neugierigen nicht die Arbeit erleichtern, sondern den
Gästen ermöglichen, sich etwas zurechtzumachen. Der Spiegel hing über dem
Schirmständer. In ihm spiegelte sich die Treppe und
ein Teil der Galerie. Und als ich hinuntergegangen war, hatte ich gesehen...
Sie war nach uns aus dem
Arbeitszimmer gekommen. Sie stand oben auf der Galerie. Ihre Hände krampften
sich um das Eichengeländer. Durch eine schmale Öffnung fiel Licht auf ihr
hartes Gesicht. Mit befriedigtem Haß in den Augen sah sie ihrem Mann hinterher.
Nun, ich konnte mich irren.
Vielleicht hatte der Spiegel einen Fehler, und bei dem schwülen
Gewitterwetter...
Viele Leute reagieren darauf.
Das greift die Nerven an. Trotzdem, wenn im Brief nicht der Name Ferrand
gestanden hätte...
13.
Der Gerechtigkeit ist Genüge getan
Das Gewitter kam wie eine
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