Die Ratten im Maeuseberg
Burma?“
„Ich bin nicht Sherlock
Holmes“, sagte ich achselzuckend. „Die Lage des Kopfkissens und der
Öffnungswinkel der Tür verraten mir nicht die Haarfarbe des Mannes, mit dem
Ihre Frau sich treffen wollte... falls sie überhaupt jemanden treffen wollte.
Vorgestern nacht jedenfalls hatte sie jemanden
getroffen. Hat sie Ihnen den Namen ihrer Zufallsbekanntschaft nicht genannt?“
„Ich habe sie nicht danach
gefragt“, sagte er tonlos. „Ich frage sie nie danach.“
Wir schwiegen eine Weile. Wie
ein Tiger im Käfig lief Courtenay im Zimmer auf und ab. Langsam wurde es
dunkel. Der Maler knipste eine Stehlampe mit einem riesigen gelben Schirm an.
Nervös blickte er um sich, als hätte das Licht seine Frau angelockt. Ein Donner
rollte näher.
„Es gibt Regen“, sagte
Courtenay, um was zu sagen.
„Eben hat’s schon gedonnert“,
sagte ich, ebenfalls um was zu sagen.
„Nein“, belehrte er mich. „Das
war der Zug von Citroën, unten, auf den Schienen der ehemaligen Ringbahn. Wenn
man ihn so deutlich hört, gibt’s Regen.“
Ein Pfiff zerriß die Stille,
gefolgt vom Knall aufeinanderstoßender Pfuffer.
„Doch, man hört’s ziemlich
deutlich“, bemerkte ich.
„Offensichtlich ein Unfall.“
Wir sahen aus dem Fenster,
konnten aber nichts erkennen. Dafür hörten wir Getrappel auf der Brücke. Ein
Arbeiter im Blaumann rannte auf die Rue des Camélias. Er sah uns und rief:
„Kann ich mal telefonieren? Muß
die Polizei alarmieren...“
„Kommen Sie rein“, rief
Courtenay und zeigte auf die Tür.
Kurz darauf stand der Arbeiter
im Zimmer. Schweißglänzend, dreckverschmiert, darunter blaß.
„Ein Unfall“, keuchte er. „Hat
sich einer vor meine Lok geschmissen... ‘ne Frau... Scheiße, Scheiße...“
„Scheiße“, ergänzte ich.
* * *
Sie war kaum wiederzuerkennen.
Aber es gab keinen Zweifel. Der schöne Körper von Marie Courtenay würde nicht
mehr in leidenschaftlichen Umarmungen erbeben. Einige Verrückte fühlten sich
aber immer noch von ihm angezogen. Etwa zehn Neugierige stierten die
verstümmelten Überreste an. Solche unersättlichen Gaffer tauchen immer aus dem
Nichts auf, wenn es irgendwo ein Blutbad gibt. Übrigens sind sie auch
Stammgäste im Schwurgericht und bei Hinrichtun-gen.
Das Unglück hatte sich direkt
vor dem Tunnel ereignet. Sie mußte wohl in einer Mauernische gestanden und sich
unter die Räder geworfen haben. Jedenfalls hatte der Lokführer das so gesehen.
Er war völlig fertig.
„Ich konnte den Zug nicht mehr
zum Stehen bringen“, versicherte er. „Es war zu spät.“
Wir sahen uns die Mauernische
an. Der Boden war mit Altpapier und Stroh übersät.
„Im Winter“, erklärte einer der
Flics, „kommen Clochards hierher. Gehen durch das Loch in der Böschung. Wenn
sie besoffen sind, ist das weniger gefährlich, als über die Gleise zu gehen.“
„Dies hier ist aber kein
Clochard“, warf ich ein.
„Sie sollen weitergehen“,
knurrte der Flic.
„Ich bin ein Zeuge. Ohrenzeuge.
Ich bin mit dem Mann der Toten gekommen.“
„Stimmt. Aber alle anderen,
bitte weitergehen! Sonst fordere ich Verstärkung an.“
Wir gingen wieder zum
Lokführer.
„Es war zu spät zum Bremsen“,
versicherte der wieder. „Verdammt nochmal! Es gibt doch genug andere Züge…“ Er
zeigte in Richtung Montparnasse mit den vielen Linien. „...Ausgerechnet meinen
muß sie sich aussuchen! Verdammte Scheiße!“
„Ich muß Sie um etwas Anstand
bitten“, mahnte der Flic und starrte in sein ausgefranstes Notizbuch, das er in
der Hand hielt. Sah aus, als lese er seinen Text ab. „Schließlich liegt hier
eine Tote... Wo ist Ihr Maschinist?“
„Kotzen.“
Der Flic verzog das Gesicht.
„So wird’s uns auch gehen. Wir
sollten uns entfernen. Die Leiche wird schon nicht verschwinden. Weitergehen,
verdammt nochmal!“
Der Flic stolperte über den
Schotter. Zeugen und Schaulustige folgten ihm. Auf der Brücke hatten sich noch
weitere Neugierige eingefunden.
„Also“, sagte der Flic und sah
wieder in sein Notizbuch. „Die Tote heißt Marie Courtenay, wohnhaft Rue des
Camélias, indentifiziert von ihrem Mann, Monsieur Auguste Courtenay, und von
Monsieur Nestor Burma, Privatdetektiv.“ Er sah mich an. „Das erste Mal, daß ich
einen sehe... Gut. Sie waren bei Monsieur Courtenay, als...“
„...der Lokführer gerannt kam,
telefonieren wollte und uns von der Katastrophe berichtete.“
„Und dann sind Sie an die
Unfallstelle gegangen usw. Gut. Sind Sie ein
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