Die Ratten im Maeuseberg
mir. Neben einer schräggestellten Zeichenplatte saß ein junger Kerl auf
einem Strohschemel. Mit seiner dicken roten Nase und den dicken Lippen sah er
nicht übler aus als sonst jemand. Aber seine Stimmung schien übel zu sein. Als
er Hélène sah, hellte sich sein Gesicht etwas auf.
„Treten Sie ein“, sagte er.
„Was kann ich für Sie tun?“
Ich kam nicht zum Antworten.
Hinter der geöffneten Tür trat ein zweiter Mann hervor und sagte:
„Ich geh. Ich komm wieder,
M’sieur Hillas.“
Ein Araber. Nicht schlecht,
aber auch nicht elegant gekleidet. Nicht besonders übel, aber auch nicht
besonders vertrauenserweckend. Weder Fisch noch Fleisch. Nichts für mich...
oder doch? Verdammt! Es gab noch andere Araber in Paris als den aus der Rue
Blottière. Ich mußte verrückt sein, aber... Es war stärker als ich.
„Moment!“ sagte ich. „Nicht so
eilig.“
„Entschuldigen mich, M’sieur“,
sagte der Araber und wollte an mir vorbei.
Ich packte seinen muskulösen
Arm. Er machte sich los und rannte weg. Ich stürzte hinterher. Plötzlich hielt
er ein Rasiermesser in der Hand. Jetzt mußte ich Zusehen, daß ich außer
Reichweite kam, um meine Kanone rausholen zu können. Ich beförderte den Araber
durch die Tür in den Hausflur. Hélène schrie auf. Als ich, die Kanone in der
Hand, dem Araber von dem Land erzählen wollte, wo die Zitronen blühen,
versperrte mir Hélène den Weg. Stand vor der geschlossenen Wohnungstür, wie
gekreuzigt.
„Nein, Chef, nein!“ keuchte
sie. „Machen Sie keine Dummheiten! Das ist ein Mörder!“
„Frag mich, ob das nicht sogar der Mörder ist“, knurrte ich. „Los, lassen Sie mich durch!“
Ich packte meine Sekretärin bei
den Schultern, schüttelte sie, schickte sie in eine andere Zimmerecke.
Unterwegs stieß sie mit Raymond Hillas zusammen, der aufgestanden war und der
Szene ziemlich verständnislos zusah. Mademoiselle Chatelain und Monsieur Hillas
verhedderten sich. Ich ließ sie sich wieder entwirren und stürzte hinter dem
muskulösen Araber her. Ich sah ihn in Richtung Rue du Père-Corentin rennen, am
Zaun eines unbebauten Geländes entlang. Grade wollte ich alle meine Energie
zusammennehmen, als ich eine ziemlich ärmlich gekleidete Frau aus dem freien
Grundstück auftauchen sah. Ihr Gesicht konnte ich nicht richtig erkennen, dafür
aber das, was sie in der Hand hielt. Ich öffnete den Mund. Zu spät. Die Frau
hatte den Araber gerufen. Der hatte sich umgedreht, dann um die eigene Achse
gedreht, gedreht und gedreht wie ein Kreisel. Jetzt lag er auf dem Boden, mit
dem Gesicht nach unten. Sein Körper zuckte noch ein paarmal. Immer weniger. Als
ich mich über ihn beugte, war er tot. Die Schüsse aus einem Gewehr hatten ihn
niedergestreckt.
* * *
Ich überließ den Araber den
diensthabenden Schaulustigen des Viertels und ging zurück zu Monsieur Hillas.
Hélène wartete vor seiner Tür, auf dem Treppenabsatz.
„Hat er Sie rausgeschmissen?“
frage ich.
„Nein. Bin von selbst gegangen.
Ich kann doch nicht alleine mit einem Mann in einer Wohnung bleiben, der solche
Schweinereien zeichnet.“
„Das sind doch keine
Schweinereien, mein Schatz... Dann ist er also unser freier Künstler?“
„Als ich hingefallen bin, hat
sich ein Karton mit Skizzen geöffnet.“
„Es ist noch jemand anders
hingefallen“, sagte ich.
„Auch von Ihnen zu Boden
geschubst? Ich habe Schüsse gehört.“
„Nein. Eine Frau hat den Araber
umgelegt. Wahrscheinlich eine Gegenterroristin. Na schön. Ist Raymond Hillas in
seiner Wohnung?“
„Ja.“
„Dann wollen wir doch mal ‘n
Sätzchen mit ihm reden.“ Als der freischaffende Künstler uns sah, fluchte er
sofort los:
„Teufel nochmal! Was soll der
Scheiß? Nichts als Ärger hat man! Wer sind Sie überhaupt, verdammt?“
„Nestor Burma, Privatdetektiv“,
erwiderte ich liebenswürdig. „Ich rate Ihnen, mir keine Märchen zu erzählen.
Könnte Ihnen leid tun. Wollte Sie fragen, ob die Zeichnung hier von Ihnen
ist...“
Ich holte das Meisterwerk
hervor, das ich immer noch mit mir rumschleppte.
„Die Zeichnung gehört zu einer
Serie“, erklärte Hillas, „die mir aus meinem Keller geklaut wurde. Diese
Schweine!“
„Und der Araber? Kannten Sie
Ihn?“
„Nie gesehn.“
„Was wollte er?“
„Mich erpressen.“
Ich stöhnte gequält auf:
„Davon hab ich so langsam die
Schnauze voll.“
„Und ich erst!“ seufzte Hillas.
„Werden Sie häufiger erpreßt?“
„Nein, das war das erste Mal.
Aber mir
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