Die Ratten im Maeuseberg
reicht’s.“
„Erzählen Sie mal!“
Er zuckte die Achseln. Seine
rote Nase spielte ins Violette. Ansonsten war das Gesicht kreideweiß.
„Was gibt’s da groß zu
erzählen? Er kommt rein und sagt: ,Ich weiß, was Sie
treiben. Könnte ‘n paar von den Bildern gebrauchen. Und etwas Geld.“ Ich will
mich schon darauf einlassen. Da kommen Sie. Und das Theater geht los! Verdammte
Scheiße...“
Er rieb sich das Handgelenk.
„...Als ich auf den Arsch
gefallen bin, zusammen mit Ihrer Maus, hab ich mir die Hand verstaucht.“
„Wieso meckern Sie? Ich werfe
Ihnen das schönste Mädchen von Paris vor die Füße, und Sie beschweren sich.“
„Was meinen Sie, wie scheißegal
mir Ihr ,schönstes Mädchen von Paris“ ist!“
„Klar!“ zischte Hélène ihn
fuchsteufelswild an. „Sie haben ja Ihre Zeichnungen. Das reicht Ihnen wohl!“
„Völlig!“ gab er zurück.
Er sah mich an.
„...Verdammt! Was war mit dem
los, mit dem Araber? Ziemlich nervös, der Junge.“
„Jetzt nicht mehr. Wollte er
viel Geld?“
„Reichlich.“
„Aber ‘n Vermögen konnten Sie
doch nicht auf den Tisch legen, oder?“
„Natürlich nicht.“
„Hatten Sie nicht das Gefühl,
daß er sich nur vorgetastet hat, um Ihnen vielleicht noch was ganz anderes
vorzuschlagen?“
Hillas runzelte die Stirn.
„Hm... Nein... das heißt...
vielleicht...“
„Vergessen Sie’s! Durch meine
Fragerei basteln Sie jetzt was zusammen.“
„Glaub ich auch, ja. Was hätte
er denn außer den Bildern und dem Zaster noch von mir verlangen können?“
„Keine Ahnung“, sagte ich.
„Aber Sie sind doch auch Graveur...“
Seine Nase, die eben noch
violett gewesen war, wurde jetzt wieder rot. Man hätte meinen können, man wär
auf der Kreuzung Vavin.
„Scheiße! Das ist ‘ne Idee!“
rief er.
„Wenn Sie vor Gericht stehen,
sagen Sie bloß nicht, woher Sie sie haben. Auf Wiedersehn, M’sieur Hillas.“
* * *
„Die Ratten verlassen das
sinkende Schiff und fressen sich gegenseitig auf“, bemerkte ich, als wir die
Treppe hinuntergingen. „Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich mehr als das
kapiere!“
Auf der Straße war weit und
breit keine Leiche mehr zu sehen. Die Flics hatten sie in den kühlen Schatten
der Morgue gebracht. Nur noch ein kleiner brauner Fleck
erinnerte an die Schüsse. Das ließ die Neugierigen träumen und belebte das
abendliche Gespräch.
Vor dem Kommissariat in der Rue
Sarrette mischten wir uns unter die Menge. Die Gerüchteküche kochte heiß.
Die Täterin war geflüchtet,
aber bald wieder gefaßt und aufs Revier gebracht worden. Ihr Name war Molinier
oder Molinard. Darüber gingen die Meinungen auseinander. Der Araber hieß
Mohammed, wie alle Araber. Diese Molinier-nard hatte ihn erschossen, weil er
vor kurzem ihren anderen Liebhaber getötet hatte. Einen gewissen Ferrand, den
Kerl, den man gestern mit durchschnittener Kehle unter einem Kohlehaufen hinter
der Rue Blottière gefunden hatte. Ach, was Sie nicht sagen. Und ich hab immer
gedacht, Araber wär’n polygam. Schon, M’ame Michu, Vielweiberei, ja, aber die
Frauen dürfen nicht polyandrisch sein. Polyandrisch? Jaaa, polyandrisch.
Vielmännerei eben!
Ich zog Hélène weiter. Ferrand
war also das Opfer eines Verbrechens aus Leidenschaft geworden. Dadurch wurde
nichts einfacher.
17.
Der Kopf
eines Mannes
Im Moment konnte ich nichts
anderes tun, als die Zeit totzuschlagen. Ich lud meine Sekretärin ins Kino ein,
und zwar in das zweifellos orginellste von ganz Paris: das Denfert-Rochereau am
gleichnamigen Platz. Es befindet sich im Keller. Über eine schmale Wendeltreppe
gelangt man in den ziemlich kleinen Vorführraum. Auch die Leinwand ist nicht
riesig. Und darüber befindet sich der Projektionsraum. Die Bilder werden über
einen Spiegel auf die Leinwand projiziert.
Nach dem Film verabschiedete
ich mich von Hélène und ging alleine zu Armand Gaudebert.
„Ist Monsieur zurück?“ fragte
ich das Mädchen mit den Apfelbäckchen.
„Er ist fortgegangen, aber
Madame ist zu Hause“, antwortete die Kleine.
„Kann ich mit ihr sprechen?“
Ich konnte.
Sie sah immer noch allerliebst aus, die schöne Henriette. Die goldbraunen,
leicht mandelförmigen Augen blitzten lebhaft. Ihr kurzgeschnittenes rotes Haar
sträubte sich etwas, vielleicht aus Protest. Sie trug einen weiten Faltenrock
und eine Bluse, die ihre sonnengebräunten Schultern freigab. Sie war
unauffällig geschminkt, gerade genug, um einen normal veranlagten Mann
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