Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
Bein gegen das
Geländer gestützt. Das Hosenbein hatte sich korkenzieherartig hochgeschoben und
ließ eine behaarte Wade sehen. Mit aller Kraft drehte er sich wie ein dicker
fetter Pfannkuchen auf den Bauch. Auf allen Vieren sah er mich an, aufgedunsen,
wächsern, völlig kaputt. Das gequälte Lächeln in seinen Mundwinkeln war eine
tiefe Kerbe.
    „Messieurs-dames, das Hohe
Gericht!“ rief ich lachend. „Los, aufstehn! Angeklagter, erheben Sie sich!“
    „Keine Bewegung“, sagte er
trocken.
    Er stützte sich auf den linken
Arm. In der Rechten hielt er meine Kanone. Diese Treulose! Ich war entäuscht.
Im Handgemenge hatte sie den Partner gewechselt. Staatsanwälte sind wirklich
nicht der richtige Umgang!
    „Markieren Sie bloß nicht den
wilden Mann!“ riet ich ihm. „Was wollen Sie denn mit dem Revolver? Hätten Sie
mich ins kalte Wasser geschmissen, dann wär ich sicher am Herzschlag gestorben
— vor allem nach dem guten Essen bei Ihnen. Ein Unfall, mehr nicht. Aber wie
wollen Sie Ihren Kollegen klarmachen, daß die Kugel in meinem Kopf auch ‘n
Unfall war? Los, geben Sie mir das Schießeisen zurück. Ich hab wenigstens einen
Waffenschein. Sie vermutlich nicht.“
    Ich ging einen Schritt auf ihn
zu.
    „Bleiben Sie, wo Sie sind!“
rief Gaudebert.
    Die Augen unter den buschigen
Brauen blitzten wie wahnsinnig.
    Ich blieb stehen. Er zog sich
am Geländer hoch.
    „Bleiben Sie, wo Sie sind!“
wiederholte er. „Und versuchen Sie nicht, mir zu folgen!“
    „Ihnen zu folgen?“ lachte ich.
„Wohin denn? Idiot! Selbst wenn die Perlen oben im Aquarium wären, hättest du
gar keine Zeit, sie zu finden und damit abzuhaun. Aber die Perlen sind gar
nicht da! Sind nie da gewesen... sind sozusagen nirgendwo gewesen. Es stellt
sich sogar die Frage, ob sie jemals existiert haben.“
    „Was?“
    Die Frage war wie ein
Klagelaut. Jetzt begann der lustige Teil der Vorstellung.
    „Aber ja, du alter Esel in
roter Robe! So ist das nun mal. Castellenot hat die Perlen zwar geklaut, aber
ist sie wohl ziemlich schnell wieder losgeworden... natürlich nicht freiwillig.
Soll ich dir mal was verraten? Ich glaube, die Leute von der Gestapo haben sich
die Steinchen an Land gezogen. Als Castellenot nämlich zum ersten Mal von den
Deutschen geschnappt wurde, wurde er wegen Mangels an gutem Willen zum Tode
verurteilt. Denn die Deutschen haben sich bestimmt auch für die Beute
interessiert. Aber er wird von anderen Deutschen gekidnappt. Denen soll er
angeblich entwischt sein. Ja, Scheiße! Sie befreien ihn, weil er’s kapiert und
in den sauren Apfel gebissen hat. Weiß der Teufel, wo der Kram geblieben ist,
als die Deutschen wieder abgezogen sind. Und weißt du was? Die Jungs sind
korrekt... auf ihre Weise. Als unser Raubmörder wieder geschnappt wird, läßt
man ihn leben... und laufen. Zu den Widerstandskämpfern, bei denen er sich mehr
oder weniger seine Unschuld zurückholen kann.“
    „Das ist nicht wahr“, keuchte
Gaudebert. „Das ist nicht...“
    „Schnauze, Richter!“ fuhr ich
ihn an. „Du sagst das nur, weil dir jemand immer wieder erzählt hat, die Perlen
seien irgendwo versteckt. Mit etwas Ausdauer könne man an sie rankommen, hat
dir der Experte gesagt. Dieser Experte steht da oben und lacht sich schlapp!
Sieh sie dir an!“
    „Lach mich ruhig aus“, fauchte
Gaudebert, ließ mich aber nicht aus den harten Augen und hielt immer noch
meinen Revolver auf mich gerichtet. „Lach mich ruhig aus! In meiner
Situation...“
    „In deiner Situation“,
unterbrach ich ihn, „hast du das Recht, alles zu erfahren, Dicker. Wie ein zum
Tode Verurteilter, dem ein letzter Wunsch erfüllt wird.“
    Ich sah hoch zu Henriette.
    „Hab ich recht, Nemesis?“
    „Vollkommen“, antwortete die
strafende Gerechtigkeit, wie immer mit sanfter Stimme.
    Ich wandte mich wieder an
Gaudebert:
    „Hörst du’s, Richter? Sie hat
dich verführt, um ihren Vater zu rächen. Wenn der nicht geköpft worden ist,
dann war das bestimmt nicht deine Schuld! Er taugt zwar nicht viel, der Kopf,
aber er ist noch dran. Ja, Alter, sie hat dich nur aus diesem einen Grund
verführt. Denn nicht du hast sie bei dir aufgenommen und erzogen, weil du so
furchtbar anständig bist und ,wiedergutmachen “
wolltest, wie du neugierigen Privatdetektiven erzählst! Sie war’s, die dich
arme Sau aufgerichtet hat. Denn das warst du nach der Befreiung: eine ganz arme
Sau. Ihren Trost konntest du natürlich gut gebrauchen. Möchte nur wissen, was
das für’n Gefühl ist:

Weitere Kostenlose Bücher