Die Ratten im Maeuseberg
an:
„Ich habe die Erlaubnis
bekommen, den Wasserspeicher zu besichtigen. Wie Sie mir gesagt haben. Heute nachmittag können wir rein. Kommen Sie zum Mittagessen zu
uns?“
„Ich weiß nicht, ob...“
„Doch, doch. Lassen Sie sich
nicht bitten. Henriette besteht darauf.“
„Gut, ich nehme an. Vielen
Dank.“
Ich legte auf. Vor Aufregung
schlug mir das Herz bis zum Hals. Die Perlen! Die
Forellen wie gekreuzte Gebeine! Perlen vor die Säue und Gebeine vor die
Schaufel!
* * *
Der glühend heiße Hof
reflektierte Hitze und Licht. Wir spürten unter unseren Schuhsohlen den heißen
Kies. Ein herrlicher Sommertag, wie geschaffen für Freude und Vergnügen. Einer
von den Tagen, an denen ich mich erstaunt frage, warum es überhaupt Verbrecher
gibt. Das Leben kann so schön sein!
Der Mann, der uns wohl durch
die Gebäude führen sollte, war schon etwas älter, kurzbeinig und freundlich.
Die schwere Laterne in seiner Hand zog seine Schultern nach unten. Galant
begrüßte er Henriette. Und zu Gaudebert gewandt, der sich auf dem Hof interessiert
umschaute, sagte er:
„Der Ort scheint Ihnen zu
gefallen, Monsieur.“
„Ja“, antwortete Gaudebert.
„Solche Bauwerke sind immer interessant. Beginnen wir mit dem unteren Bassin?
Ich glaub das ist das größere und interessantere.“
„Wie Sie wünschen, M’sieur“,
sagte unser freundlicher Führer. „Der untere Behälter wird unterer Behält
genannt, weil er unter dem anderen liegt; aber von seiner Kapazität her gesehen
ist er dem darüber überlegen. Überlegen Sie mal: er faßt
einhundertfünfundzwanzigtausend Kubikmeter. Ein hübsches Schwimmbecken, hm?
Sein Wasserstand erreicht etwa fünf Meter. Mit anderen Worten, man kann nicht
drin stehen. Und hineinspringen sollte man lieber nicht. Das Wasser ist
eiskalt. Wenn Sie mir jetzt bitte folgen wollen... Hier entlang, Messieurs-dame...“
Er musterte Henriette. Sie
hatte nicht viel an unter ihrem Rock und ihrer Bluse.
„Ich hoffe, Madame wird nicht
frieren. Dort drin herrscht nämlich nicht dieselbe Temperatur wie hier
draußen...“
Er hatte recht. Durch eine
Eisentür gelangten wir in einen dunklen und saukalten Vorraum. Der Boden war
feucht, stellenweise sogar schlammig. Mit meinen Kreppsohlen hätte ich mich
beinahe auf den Bauch gelegt. Monsieur und Madame Gaudebert setzten ihre
Sonnenbrillen ab.
Unser Führer öffnete eine zweite
Tür, hinter der uns Wassergeplätscher empfing. Er drehte an mehreren
Lichtschaltern, und an den Wänden flammten Glühbirnen hinter Schutzgittern auf.
Unsere Blicke richteten sich auf die Aquarien mit den Forellen. Hinter dem
dicken Glas schwammen die Fische hin und her. Kümmerten sich ‘n Dreck um die
Besucher! Unter dem mittleren Aquarium befanden sich mehrere Wasserhähne, aus
denen klares Wasser in eine Schale floß. Unser Führer nannte das den
„Ausschank“. Lange Thermometer — jedenfalls sahen die Apparate so aus — badeten
in dem Wasser, das ständig erneuert wurde.
Ich zwinkerte Gaudebert zu,
stieß ihm weniger vornehm als vielsagend in die Seite und zeigte auf die
Forellen. Gaudebert zuckte zusammen. Henriette verfolgte die munteren Fische
mit einem Lächeln auf ihren schönen Lippen.
Unser Führer verschwand, um
Scheinwerfer anzuknipsen. Wir waren alleine. Gaudebert beugte sich vor.
„Das sehen wir uns später an,
nicht wahr?“
„Ja, ja“, murmelte ich.
„Wie können wir...“
„Später, später, wie Sie schon
sagten.“
„Kommen Sie dann?“ fragte der
Führer, der plötzlich wieder neben uns stand.
Henriette erschauerte.
„Sehen Sie, ich habe Sie
gewarnt!“ sagte der Mann. „Ein richtiger Eisschrank ist das hier...“
„Ach, es geht schon“, sagte
Henriette.
„Also, hier entlang, bitte...“
Wir folgten ihm in einen
dunklen feuchten Gang mit glitschigem Boden und ungemütlichen Mauerwänden. Der
Mann hatte seine Laterne angeknipst. In dem tanzenden Lichtkegel tauchte hin
und wieder eine Pfütze aus dem Dunkel auf. Plötzlich endete links die
Mauerwand. Über eine niedrige Brüstung sahen wir den unteren, aber überlegenen
Behälter. Er wurde von mehreren Scheinwerfern angestrahlt.
Die Stollen wiederholten sich
endlos, spiegelten sich in dem Wasser wider, in dem die Säulen standen. Diese
grünliche Flüssigkeit, klar und ruhig, heimtückisch, kalt und glatt, wirkte
solide und starr. Man wagte nicht, laut zu sprechen. Nur Flüstern schien
gestattet... oder Schweigen. Der leiseste Ton hallte wider und erstarb wie
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