Die Ratten
offenen Wunde in Marys Kehle, grub die gewaltigen Schneidezähne tief hinein und sog das Blut mit heftigen Zuckungen ihres kräftigen Körpers ein. Mary versuchte, sich zu bewegen, doch sie war bereits zu geschwächt vom Blutverlust, und die Ratte biß nun tief in ihre Stimmbänder. Marys Körper erbebte. Plötzlich grub eine andere pelzige Kreatur den Kopf in ihr verfilztes Haar über der Wunde in ihrem Schädel. Mary bäumte sich auf und fiel wieder vornüber. Eine andere
Ratte zerrte an ihrem Ohr. Auf einmal war ihr ganzer Körper mit Ratten bedeckt, und weitere hasteten aus der Dunkelheit heran, denn der Geruch von Blut war jetzt viel stärker als zuvor. So endete Mary Kellys unglückliches Leben. Die Priester hatten es nie geschafft, ihre Seele zu retten, aber Mary hatte sie nie wirklich verloren. Nur den Verstand.
Die Ratten sogen das Blut aus ihrem Körper und nagten an ihrem Fleisch, bis nicht viel mehr als Knochen und Hautstücke übrig waren. Es dauerte nicht lange, denn es waren sehr viele. So viele, daß sie nicht alle satt wurden. Ihr Hunger nach Menschenfleisch war nur geweckt worden - sie wollten mehr. Es waren jetzt mehrere größere Ratten darunter, und sie huschten auf die fünf Menschen zu, die in der Nähe schliefen.
Jetzt gab es keine Vorsicht mehr, als die Ratten über die Gestalten herfielen. Zwei Männer hatten keine Chance, denn noch im Schlaf wurden ihnen die Augen aus den Höhlen gerissen. Sie krochen blind inmitten des Blutbads herum, und Ratten klammerten sich an ihre blutigen Körper.
Der bärtige Mann kam auf die Füße. Er zog eine zappelnde Ratte von seinem Gesicht fort und riß dabei hauptsächlich Barthaare von seiner Wange ab. Als er jedoch stand, sprang eine der größeren Ratten auf seinen Schoß, biß zu und riß mit einer mächtigen Drehung ihres Körpers die Genitalien weg. Der Penner fiel schreiend auf die Knie, preßte die Hände zwischen die Beine, als könne er so die Flut des Bluts stoppen, aber er war sofort von einer Woge schwarzer Ratten eingehüllt, die ihn zu Boden rissen.
Ein anderer Penner hielt schützend die Hände vor den Kopf, rollte sich kugelförmig zusammen, und sein abgemagerter Körper erbebte unter Schluchzen und Flehen. Die Ratten bissen seine Finger ab und griffen seinen unge
schützten Nacken und den Rücken an. Er blieb in seiner Fötushaltung liegen, während ihn die Ratten noch halb lebendig fraßen.
Myer rannte. Er rannte schneller als je zuvor, und er schaffte es fast. Doch in der Dunkelheit und in seiner Panik prallte er gegen einen alten Grabstein. Er stürzte darüber, überschlug sich und landete auf dem Rücken. Sofort waren die Ratten über ihm, und ihre rasiermesserscharfen Zähne rissen seinen schmalen, alten Körper in Fetzen.
Außerhalb des Trümmergrundstücks, auf der Hauptstraße, hatte sich eine Menschenmenge angesammelt. Die Leute hatten die Schreie und den Tumult gehört, aber keiner wagte es, den dunklen, ehemaligen Friedhof zu betreten. Sie konnten durch das Blätterwerk nichts sehen, doch sie wußten, welche Typen auf diesen alten Trümmergrundstücken hausten. Keiner war begierig darauf festzustellen, was dort los war.
Schließlich trafen zwei Polizisten ein, und kurz darauf war ein Streifenwagen zur Stelle. Ein starker Suchscheinwerfer wurde auf das Gestrüpp gerichtet, und drei Polizisten mit Taschenlampen drangen in das Trümmergrundstück ein.
Sie tauchten drei Minuten später wieder auf und waren leichenblaß. Einer ging zum Straßenrand und übergab sich.
6
Harris schreckte aus dem Schlaf und griff automatisch nach dem schrillenden Wecker. Das Klingeln erschreckte ihn immer, wenn es ihn überraschte. Seit kurzem hatte er sich angewöhnt, ein paar Minuten vor dem Klingeln des Weckers aufzuwachen, auf den ersten Ton zu warten und den Wecker sofort abzustellen. Dann döste er noch eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten.
Heute morgen wurde er jedoch aus einem tiefen Traum gerissen. Er versuchte, sich zu erinnern, was er geträumt hatte. Irgend etwas von Zähnen. Scharfen Zähnen. Von Zähnen, die etwas in Stücke rissen.
Verdammt, dachte er, es waren Ratten. Tausende von Ratten. Er erinnerte sich, daß er aus seinem Fenster geschaut hatte. Es war Nacht gewesen, und unterhalb von ihm waren Tausende Ratten gewesen, alle völlig still, und sie hatten im Mondschein nur zu ihm heraufgestarrt. Tausende von bösartig blickenden Augenpaaren. Dann waren sie wie eine Flutwelle über das Haus hereingebrochen, hatten die
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