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Die Ratten

Die Ratten

Titel: Die Ratten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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bleiben«, sagte Henry und legte ihr freundlich eine Hand auf die Schulter. »Die Ratten dürfen uns nicht hören. Ich glaube, ich habe dieser Bestie das Genick gebrochen und sie kann nicht mehr hier rein. Ich schlage vor, wir hocken uns alle auf den Boden und verhalten uns so still wie möglich.« Er stützte das schluchzende Mädchen und setzte es hin. Dann warf er wieder einen Blick aus dem Fenster und bereute es sofort. Er wußte, daß er diesen Anblick niemals vergessen würde, solange er lebte - er verbannte schnell den Gedanken an Leben und Tod. Unterhalb des Fensters spielte sich im Tunnel ein Alptraum ab. Eine Szene aus der Hölle. Er sah blutüberströmte Gliedmaßen, zerfetzte Gesichter, verstümmelte Leichen. Ein Mann stand fast gegenüber von ihm an der Tunnelwand, steif und gerade aufgerichtet, und starrte mit leblosen Augen ins Nichts, während drei oder vier Ratten seine nackten Beine fraßen. Eine dicke Frau, deren Kleidung völlig vom Körper gefetzt war, schrie mitleiderregend, während sie auf zwei Ratten einschlug, die an ihren großen Brüsten hingen. Ein Junge von vielleicht 18 Jahren versuchte, auf das Dach der U-Bahn zu klettern, indem er die Füße gegen die Tunnelwand stemmte und sich langsam hochzog. Eine riesige Ratte huschte an der Wand hoch und landete auf seinem Schoß, und der Junge stürzte zurück auf den Tunnelboden. Schreie gellten durch den Tunnel. Hilferufe hallten von den Wänden wider. Alles im Halbdunkel vor der Schwärze des Tunnels, als spiele sich das Grauenvolle in einer dunklen Vorhölle ab. Und überall huschten pelzige, schwarze Schatten herum, liefen die Tunnelwände hinauf, sprangen durch die Luft und verharrten nur, um zu fressen und zu saufen, wenn ihre Opfer nicht mehr kämpften.
    Henry sank auf die Knie und bekreuzigte sich. Er zuckte zusammen, als ihn eine Hand an der Schulter berührte.
    »Was sollen wir tun?« fragte Violet.
    Henry bemühte sich, die schreckliche Szene aus seinen Gedanken zu verdrängen. »Wir warten eine Weile - sehen, was passiert. Man wird jemand in den Tunnel schik-ken, um festzustellen, was los ist. Es dauert sicher nicht mehr allzulange.« Er tastete nach Violets Hand und tätschelte sie sanft. Insgeheim freute er sich über das Vertrauen der Frau. In der Vergangenheit war er Frauen gegenüber immer ein wenig schüchtern gewesen, aber jetzt, inmitten des Chaos, entdeckte er eine neue Seite seines zaghaften Wesens. Stolz stieg in ihm auf und gewann die Oberhand über die Furcht.
    Plötzlich verstummten die Schreie. Henry und die beiden Frauen rührten sich sekundenlang nicht und lauschten angespannt. Und dann hörten sie Stöhnen. Es begann mit einem langen, leisen Seufzen und Ächzen und schwoll an. Bald war der ganze Tunnel von Klagelauten, Wimmern und leisen Hilferufen erfüllt. Aber die Schreie waren verstummt. Die Stimmen hatten die Kraft verloren. Es war, als wüßten die verstümmelten Menschen - diejenigen, die noch lebten -, daß ihnen nicht noch mehr passieren konnte. Das Grauenvolle war geschehen, jetzt konnten sie nur noch leben oder sterben.
    Henry erhob sich und schaute durch das Fenster. Er sah zwei Leichen in der Nähe, aber alles andere war in der Dunkelheit verborgen.
    »Ich glaube, sie sind fort.« Er wandte sich zu der Frau und dem Mädchen um. »Es ist nichts mehr von ihnen zu sehen.«
    Violet stemmte sich auf die Knie auf und spähte nach draußen. »Aber - aber was ist dieses Glühen? Da kommt ein rötlicher Schein von irgendwoher.«
    Henry sprang auf die Füße. »Natürlich. Das Feuer! Es breitet sich aus und hat vermutlich die Ratten erschreckt. Wir müssen raus.«
    »Nein«, schrie Jenny. »Wir können nicht dort hinausgehen. Sie werden auf uns warten!«
    »Und wir können nicht hier bleiben«, sagte Henry in freundlichem Ton. »Ich denke, die Ratten sind jetzt verschwunden, weil sie Angst vor dem Feuer haben. Ich gehe zuerst raus und sehe mich um. Dann komme ich zurück und hole Sie.«
    »Lassen Sie uns nicht allein!« Violet umklammerte seinen Arm. Henry lächelte sie an, und ihr Gesicht war jetzt im rötlichen Feuerschein zu sehen. Eine gut aussehende Frau, dachte Henry. Vermutlich verheiratet. Kinder wird sie wohl auch haben. Zu normalen Zeiten würde sie mich kein zweites Mal anschauen. Schade.
    »Also gut. Dann gehen wir zusammen.«
    »Nein, nein, ich gehe nicht raus.« Jenny verkroch sich in der Ecke gegenüber der Tür.
    »Sie müssen mitkommen, meine Liebe. Hier würden Sie bald ersticken.« Der Rauch

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