Die Ratten
fiel einer, wurde von den anderen aufgehoben, und es ging weiter, immer weiter, und schließlich blieben die Toten und Verstümmelten hinter ihnen zurück. Henry blieb plötzlich stehen, und Jenny und Violet prallten gegen ihn.
»Was ist?« fragte Violet besorgt.
»Vor uns. Da ist etwas. Ich sah etwas glänzen.« Henry leuchtete mit der Taschenlampe über die Schienen, bis der Lichtstrahl auf vier schwarze Schatten fiel. Vier gewaltige Ratten. Sie warteten auf sie. Kauerten in der Dunkelheit und warteten. Sekundenlang regte sich keine der beiden Parteien, und dann wich das Trio der Menschen langsam zurück. Die Ratten starrten nur. Henry hörte Jenny hinter sich nach Luft schnappen, und dann klammerte sie sich fester an seinen Arm. »Hinter uns! Da sind noch mehr!« keuchte sie entsetzt.
Henry wirbelte herum und sah sie. Zwei. Sie näherten sich verstohlen. Henry erkannte, daß sie in der Falle waren. Jetzt setzten sich die vier in Bewegung, machten geduckt kleine Schritte, und die Rückenmuskeln spannten sich, bereit zum Sprung. Vielleicht könnte ich es allein schaffen, dachte Henry. Über die Ratten vor mir springen und rennen. Das Mädchen und die Frau würden es niemals schaffen - aber allein hätte ich vielleicht eine Chance.
»Gegen die Wand, Ladys.« Henry schob sie zurück und verbannte den Gedanken an Flucht. »Bleiben Sie hinter mir, und wenn die Ratten versuchen, an mir vorbeizu-kommen, treten Sie zu, so fest Sie können.« Er zog sein Jackett aus und wickelte es um seinen Arm, wobei er den Lichtstrahl der Taschenlampe auf die Ratten gerichtet hielt, die jetzt vor ihm versammelt waren. Das Mädchen wandte das Gesicht zur Wand, und die Frau begann um ihre Kinder zu weinen.
Eine Ratte näherte sich und nahm ihren kalten Blick nicht von Henrys Augen.
Licht blitzte vorne im Tunnel auf. Sie hörten Stimmen. Schritte. Weiteres Licht. Der ganze Tunnel war auf einmal hell beleuchtet, und die Schritte und Stimmen wurden lauter.
Die Ratten und die drei Menschen schauten in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, und keine der beiden Parteien regte sich. Henry hörte scharrende Geräusche, blickte zurück und sah gerade noch, daß sich die Ratten zur brennenden U-Bahn hin zurückzogen. Alle außer einer. Die eine, die am nächsten gewesen war, verharrte immer noch dort und starrte den Menschen an. Reglos, anscheinend furchtlos. Henry erschauerte. Er hatte das Gefühl, der Blick der Ratte dringe bis in die Tiefe seiner Seele. Er war auf einmal von Furcht wie gelähmt. Fast verächtlich wandte die große Ratte den Kopf und schaute zu den nahenden Menschen. Sie blickte noch einmal zu Henry und flüchtete.
»Hierher, hierher, Leute!« rief Henry.
Einen Augenblick später waren sie von uniformierten Männern umgeben; Polizisten und Personal der U-Bahn. Als Henry ihnen von den entsetzlichen Ereignissen berichtete, starrten sie ihn ungläubig an.
»Ah, erzählen Sie doch keine Märchen, Sir«, sagte ein Polizei-Sergeant und schüttelte den Kopf. »Ratten können keine ganze U-Bahn voller Leute angreifen - und das würden sie auch niemals tun. Riesig oder nicht, sie können nicht in eine U-Bahn eindringen. Vielleicht sind Sie von dem Rauch ein bißchen benebelt, Sir.«
Violet Melray drängte sich grob an dem kleinen Mann vorbei und fuhr den Sergeant ärgerlich an. »Verdammt noch mal, gehen Sie doch hin und schauen Sie nach!« Dann wandte sie sich zu Henry Sutton um, ergriff seine Hände und sagte in einem sanfteren Ton: »Danke. Danke für Ihre Hilfe.«
Henry stieg das Blut in die Wangen, und er senkte verlegen den Blick.
»Äh, ja, nun müssen wir weiter«, sagte der Sergeant. »Zwei meiner Männer werden Sie zur Station bringen.«
»Nein«, sagte Henry. »Ich begleite Sie zur Bahn. Sie werden alle Hilfe brauchen, die Sie bekommen können.« Er schaute die Frau an, die immer noch seine Hand hielt. »Auf Wiedersehen. Ich werde Sie wiedersehen.«
Bevor er seine Hand zurückziehen konnte, trat Violet vor und küßte ihn auf die Wange.
»Auf Wiedersehen«, flüsterte sie.
11
Harris fühlte sich glücklich, als er das Klassenzimmer betrat, in dem es laut zuging. Das Wochenende hatte ihm gutgetan. So etwas mußte er sich öfter gönnen. Frische Luft. Freie Natur. Grün. Nichts war besser.
»Ruhe, Leute!« schrie er gegen den Lärm an. »Scalley, setz dich und putz dir die Nase. Thomas, weg vom Fenster und auf deinen Platz. Maureen, steck deinen Taschenspiegel ein. Gut so. Hatten alle ein schönes
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