Die Ratten
Polizeisirenen. Wo zur Hölle war die Polizei gewesen? Was sollte er jetzt tun?
Verzweifelt schaute er sich um. Die Ratte begann, sich aus seinem Griff zu winden. Er würde sie nicht mehr lange halten können. Selbst wenn er das verdammte Ding tötete, ein Biß würde bereits reichen, und er müßte sterben. Klasse 3c hatte ein Aquarium. Das war die Antwort. Er würde die Ratte ersäufen. Aber alle Türen waren geschlossen. Verdammt! Er konnte die Ratte niemals mit einer Hand halten.
»Mr. Norton«, rief er. »Die Tür von 3c! Öffnen Sie sie, schnell, ich kann das Biest nicht länger halten!«
Der Direktor schüttelte sich benommen und starrte auf die Ratte.
»Öffnen Sie die verdammte Tür!« schrie Harris.
Der ältere Mann riß schließlich den Blick von der Ratte los und schaute den Lehrer an, dessen Gesicht hochrot war. Norton nickte langsam und kroch auf das Klassenzimmer der 3c zu.
»Schnell, schnell!« rief Harris.
Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis der Direktor die
Tür erreichte und eine zitternde, blutüberströmte Hand zur Klinke hob. Die blutige Hand war glitschig und rutschte ab, und er mußte die andere Hand zu Hilfe nehmen. Schließlich zog er die Tür auf.
Harris schleifte die Ratte über den Boden. Seine Finger schmerzten, während er versuchte, das Leben aus dem zuckenden und sich aufbäumenden Körper zu pressen, aber seine Kraft reichte dazu nicht aus. Die Ratte grub ihre Klauen in den Holzboden und zwang Harris, den Kopf und die Schultern des Tiers ein wenig über dem Boden zu halten. Der Kopf der Ratte zuckte von einer Seite zur anderen, und sie versuchte, mit den Zähnen nach Harris zu schnappen. Aber Harris war vorsichtig, äußerst vorsichtig. Als er an die Tür gelangte, stieß der Direktor einen erstickten Schrei aus und trat in seiner Panik nach der Ratte. Statt dessen traf er Harris am Bein, so daß er stolperte und die Ratte fast aus dem Griff verlor.
»Aus dem Weg«, sagte er leise und preßte die Zähne aufeinander. Dann lauter: »Verdammt, gehen Sie aus dem Weg!«
Der Direktor kroch zur Seite, und Harris gelangte ins Klassenzimmer. Er sah das Aquarium auf der breiten Fensterbank. Er bewegte sich darauf zu. Als er das Lehrerpult erreichte, schwang er die Ratte darauf, indem er all seine Kraft einsetzte und den Griff nicht lockerte. Dann schob er das Pult mit dem Körper auf das Aquarium zu und preßte die Ratte, die mit den Hinterfüßen nach ihm trat, gegen den Tisch.
Schließlich stieß das Pult an die Fensterbank. Harris hob ein Bein und kletterte hinauf. Er schleifte die Ratte auf das Aquarium zu.
Vor der letzten Anstrengung verharrte er kurz. Er sammelte alle Kraft. Schweiß strömte über sein Gesicht, als er sich mit der Ratte erhob und den zappelnden Körper ins Wasser des Aquariums tauchte.
Das Aquarium schien zu explodieren. Wasser und Fische ergossen sich über ihn, doch er hielt die Ratte fest, drückte ihren Kopf tief bis zum Boden des Aquariums hinab und ignorierte die Schmerzen in seiner Brust und den Armen. Er fragte sich, ob noch genug Wasser im Aquarium war, um die Ratte zu ertränken, oder ob ihre peitschenden Gliedmaßen die gläsernen Seiten des Behälters sprengen konnten. Aber allmählich wurde das Zappeln schwächer, die Ratte bäumte sich nicht mehr so rasend auf, das Rucken ihres Kopfes ließ nach. Schließlich bewegte sie sich überhaupt nicht mehr. Harris hielt die Ratte jedoch weiterhin fest. Nur um sicherzugehen.
Er blickte auf und schaute aus dem Fenster. Einige Streifenwagen waren eingetroffen, und viele blau uniformierte Männer standen draußen vor dem Tor und wußten nicht, was sie tun sollten.
Schließlich ließ Harris die tote Ratte los und stieg von der Fensterbank. Seine Kleidung war zerrissen, und Blut bedeckte seine Hemdbrust, doch er war sich ziemlich sicher, daß er nicht gebissen worden war. Er ging zu dem Direktor, der noch bei der Türschwelle hockte und die Hände vors Gesicht hielt.
»Es ist jetzt alles in Ordnung, Sir. Die Polizei ist hier. Sie wird bald alles weitere erledigen.« Harris kniete sich neben den zitternden Mann.
»Es war grauenvoll«, sagte der Direktor und nahm die Hände vom Gesicht. »Schrecklich. Diese stinkenden Kreaturen hatten auf mich gelauert. Sie rannten überhaupt nicht fort. Sie warteten oben an der Treppe auf mich!«
Harris wußte nicht, was er sagen sollte. Wie kann man jemanden trösten, wenn man weiß, daß er binnen 24 Stunden sterben wird?
»Lassen Sie uns nach oben gehen, Sir.
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