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Die Ratten

Die Ratten

Titel: Die Ratten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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seinem Körper ausbreitete. Er starb ohne Gedanken, nicht einmal an seinen geliebten, fast vergessenen Francis. Da war nur dieses schwerelose Gefühl, nicht einmal mehr Schmerz. Darüber war er hinaus.
    Die Ratten hatten ihn gefressen, aber sie waren immer noch hungrig. So suchten sie. Suchten nach mehr solcher Nahrung.
    Sie hatten ihr erstes Menschenblut gekostet.

2
    Immer der gleiche Trott, dachte Harris, als er die staubige Straße hinab zur St.-Michaels-Schule ging.
    Eine weitere verdammte Woche diese kleinen Idioten unterrichten. Kunstunterricht für kleine Biester, deren beste Arbeiten auf Toilettenwänden zu sehen waren. Nicht auszuhalten!
    Jeden Montag fühlte sich Harris so. Die ersten drei Unterrichtsstunden am Morgen waren die schlimmsten. Gegen Mittag würde sich seine Stimmung allmählich bessern, und er würde sich auf seine Schüler eingestellt haben. Es gab ein paar Lichtblicke in dieser Horde von Dummköpfen: Thomas hatte Verstand. Barney hatte Talent, und Keogh - nun, Keogh war gerissen. Er würde nie Bankier oder Buchhalter werden, aber er würde zu viel Geld kommen. Vielleicht nicht auf ehrbare Weise, aber er würde seinen Weg gehen.
    Harris fragte sich, was einen Jungen aus der Masse der anderen herausragen ließ. Keoghs Intelligenz spiegelte sich nicht unbedingt in seinen schulischen Leistungen wider. Er sah auch nicht gut aus. Nicht groß, nicht schlank. Aber mit 14 hatte er diese freche Selbstsicherheit, die ihn von den anderen unterschied. Vielleicht eine strenge Erziehung. Aber die meisten Kinder dieser Schule hatten zu Hause ein hartes Leben. Was konnte man schon erwarten, wenn sie im Hafenviertel wohnten und ihre Väter entweder in Fabriken oder in den Docks schufteten. Die meisten Mütter mußten ebenfalls arbeiten, und wenn die Kinder aus der Schule kamen, war niemand zu Hause. Wenn die Eltern dann heimkehrten, hatten sie keine Zeit für ihre Kinder. Trotzdem war es früher, zu seiner Jugendzeit, noch viel schlimmer gewesen. Sowohl Hafenarbeiter als auch Fabrikarbeiter verdienten heutzutage gutes Geld, weitaus mehr als er als Lehrer am Ende des Monats auf die Hand bekam. Die größte Trennlinie zwischen der Arbeiterklasse und der Mittelklasse war heutzutage die Ausdrucksweise.
    Harris stammte aus dieser Gegend; das East End hatte keine Geheimnisse für ihn. Er erinnerte sich daran, daß er auf der Kunstakademie einigen befreundeten Studenten erzählt hatte, wo er wohnte. »Wie malerisch!« hatte ein Mädchen gemeint. Malerisch! Nun, so konnte man es auch beschreiben. Mit 32 war er wieder hier und unterrichtete kleine Abbilder seines früheren Ichs. Zuerst hatten sie versucht, ihm das Leben schwerzumachen, die kleinen Krüppel, denn Kunst war für sie verplemperte Zeit, und jeder, der so etwas lehrte, war ihrer Meinung nach ohnehin schwul oder bescheuert. Aber er hatte sie richtig angepackt. Er hatte sie so hart herangenommen, daß sie in seiner Gegenwart kaum zu flüstern wagten. Ihre Anführer absondern, das war der Trick; sie fertigzumachen und vor den anderen bloßzustellen.
    Man brauche nicht gerade ihre Sprache zu benutzen, aber ihre Art und Weise. Eine gute, harte Kopfnuß dann und wann wirkte Wunder. Weil er jung war, mußte er ihnen zeigen, daß auch er ein harter Hund sein konnte. Eigentlich war es ein Jammer. Wie oft hatte er ein Lachen unterdrücken müssen, wenn einer der kleinen Scheißer versucht hatte, ihn niederzustarren. Schließlich hatte er ihren Respekt errungen und die Zügel etwas gelockert, nicht zu viel - das hätten sie nur ausgenutzt -, aber gerade genug, damit sie ein wenig freier wurden, ohne übermütig zu werden.
    Keogh war das einzige Rätsel. Harris wußte, daß er zu dem Jungen durchdringen konnte, sie beide wußten es -aber Keogh würde ihn auslachen, kurz bevor ein gegenseitiges Verständnis erreicht sein würde, und Harris hätte wieder verloren.
    Er fragte sich, ob er das wert war. Er konnte wählen, in welcher Schule er unterrichten wollte, aber er wollte seinesgleichen helfen. Nein, er war nicht so nobel. Dies war das Milieu, in dem er aufgewachsen war. Hier war er in seinem Element. Außerdem wurden die Lehrer in >unter-privilegierten< Gebieten besser bezahlt. Und Barney war vielversprechend. Wenn er mit den Eltern des Jungen sprach, ließen sie ihn vielleicht Kunst studieren...
    Das Schrillen der Schulklingel riß Harris aus seinen Gedanken. Er ging durch das Tor und hörte eilige Schritte hinter sich.
    Zwei kichernde Mädchen in Miniröcken,

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