Die Ratten
die Zäune zu überwinden - die Affen oder die leichtfüßigen Tiere -, aber die anderen sprangen entweder vergebens daran hoch oder rasten am Zaun entlang.
Der alte Zoowärter erreichte das große Raubtierhaus. Die Ratten hatten ihn immer noch nicht angegriffen; er dachte auch gar nicht an die Möglichkeit, denn er sorgte sich zu sehr um seine geliebten Tiere, um an seine eigene Sicherheit zu denken. Das Brüllen der Raubkatzen war ohrenbetäubend, als er zu den Eisenkäfigen lief. Er gelangte zu den Löwenkäfigen und schloß ohne zu zögern die Eisentüren auf.
»Komm, Sheik, komm Sheba«, rief er sanft und drängte sie, aus dem Käfig zu kommen. Er hetzte an den Käfigen entlang und schloß die Türen auf, ohne sich der Gefahr bewußt zu sein. Der Löwe sprang mit wütendem Brüllen nach vorne, als er einige Schatten durch die Tür kommen sah. Er riß die Ratten in Fetzen, warf sie mit seinem Maul in die Luft und zerfetzte sie mit den Pfoten. Als immer mehr in den Käfig strömten, beteiligten sich die anderen Raubkatzen am Töten der Ratten. Löwe, Tiger, Leopard, Panther, Puma, Jaguar - alle vereinigten sich im Kampf gegen den gemeinsamen Feind. Nur der Gepard blieb in seinem Käfig.
»Komm jetzt, Sara, du mußt herauskommen«, flehte George, doch das vorsichtige Tier knurrte nur hinten aus dem Käfig, bleckte die Zähne und hob eine Pfote.
»Bitte, Sara, sei ein gutes Mädchen. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Komm heraus.« Verzweifelt ging George in den Käfig. »Komm schon, Mädchen, ich bin's nur, der alte George. Ich will dir helfen.«
Er näherte sich langsam mit ausgestreckter Hand dem Gepard und redete die ganze Zeit beruhigend auf ihn ein. Das Tier duckte sich und knurrte noch wilder.
»Ich bin es, Sara. Nur der alte George.«
Der Gepard sprang den alten Zoowärter an, tötete ihn binnen Sekunden und schleifte die blutige Leiche triumphierend durch den Käfig.
Dann sprang die Raubkatze aus dem Käfig und schnellte zu dem Kampf zwischen Raubtieren und Ratten, doch anstatt die Nagetiere anzugreifen, sprang der Gepard auf den Rücken des Panthers und grub die Zähne in seine Schulter. Immer noch strömten Ratten heran, und der Kampf zwischen Kraft und Masse ging bis zum bitteren Ende weiter.
16
Harris fuhr durch das Durcheinander von Militär- und Polizeifahrzeugen, die vor Whitehall parkten. Mehrmals wurde er von der Polizei gestoppt und aufgefordert, seinen Sonderausweis zu zeigen. Dann winkte man ihn schnell weiter und salutierte knapp. Er bahnte sich einen Weg zum granitgrauen Gebäude des Verteidigungsministeriums, das jetzt das Hauptquartier der Operationen war. Die Fahrt durch die verlassenen Straßen war unheimlich gewesen. So etwas hatte er nur erlebt, wenn er vor dem Morgengrauen von einer Party heimgekehrt war und Londons Betonlandschaft so ausgestorben gewirkt hatte, daß man sich kaum Verkehrslärm und Menschen auf den Straßen hatte vorstellen können. Doch selbst dann hatte er für gewöhnlich einen anderen einsamen Wagen oder vielleicht einen Mann auf einem Fahrrad gesehen, der von der Nachtarbeit zurückkehrte. Aber heute war niemand unterwegs, er sah nicht einmal die Army -, Jeeps mit den Patrouillen, die eingesetzt wurden, um zu überprüfen, daß die Stadt leer und kein Unbefugter zurückgeblieben war. In den letzten beiden Tagen hatte es viel Ärger mit Plünderern gegeben - Aasgeier, die die Chance ihres Lebens darin sahen, sich ungehindert die Taschen füllen zu können. Sie hatten sich geirrt; die Überwachung war nie größer gewesen. Wer sich jetzt ohne Genehmigung in London aufhielt, wurde auf der Stelle verhaftet.
»Wird es klappen, Liebling?« fragte Judy und riß ihn aus seinen Gedanken.
Harris wandte sich ihr zu, lächelte angespannt und konnte sein Unbehagen nicht verbergen. »Es muß klappen, nicht wahr?«
Er stoppte, um einen Armeelastwagen aus der Reihe anderer Fahrzeuge ausscheren zu lassen, die alle mit Soldaten in Schutzanzügen besetzt waren, und drückte Judys Hand. Als Mitglied des kürzlich neu gebildeten >Aktionskomitees< hatte er seinen Einfluß nutzen können, um Judy bei sich zu behalten. Sie wurde nicht wie die anderen für fünf Tage aufs Land evakuiert. Harris hatte nicht gewollt, daß sie bei ihm blieb, denn die Gefahr heute und möglicherweise in den nächsten Tagen konnte für jeden, der noch in der Stadt war, groß sein. Die ganze Operation war zu einem gewissen Maße unberechenbar. Judy hatte jedoch darauf bestanden, bei ihm zu
Weitere Kostenlose Bücher