Die Rattenhexe
brauche das Geld für meine Familie.«
»Eine Pause von einer Woche müssen Sie schon einlegen, Miß.«
»Das ist zuviel.«
»Es wird Ihnen guttun. Man darf Verletzungen dieser Art nicht unterschätzen.«
»Sie sollten sich wirklich an den Rat des Doktors halten.« Ich mischte mich ein. »Sollte Ihr Chef Ärger machen, sagen Sie mir Bescheid, Ming. Auf solche Typen freue ich mich immer.«
»Nett, daß Sie das sagen, Mister.«
»Das meine ich sogar so.« Ich schenkte ihr noch ein Lächeln und unterhielt mich mit dem Arzt. Wir waren etwas zur Seite gegangen, wo wir unsere Ruhe hatten. »Was meinen Sie, Doktor? Woher kann der Biß stammen?«
»Fragen wir mal anders: Haben Sie nichts gesehen?«
»Meinen Sie?«
»Ja. Sie haben doch einen Verdacht.«
Er hatte mich durchschaut, und ich sprach von einer Ratte. Dabei beobachtete ich das Gesicht des Arztes, in dem sich seine Meinung nicht widerspiegelte. Er ließ mich ausreden und sagte dann: »Sie denken wirklich an einen Rattenbiß?«
»Richtig.«
»Ich bin zwar kein Fachmann, kann mir aber vorstellen, daß Sie mit dieser Vermutung gar nicht mal so falsch liegen.«
»Dann meinen Sie das auch?«
»Ich schließe es nicht aus«, erklärte er. »Das kann durchaus ein Rattenbiß gewesen sein.« Er schüttelte den Kopf, als wollte er sich selbst widerlegen. »Ich habe trotzdem meine Probleme damit. Ich bin öfters bei schönem Wetter hier, aber Ratten habe ich in dieser Umgebung noch nicht beobachten können.« Er verzog die Lippen. »Das heißt aber nicht viel.«
»Da haben Sie recht.«
Ming war aufgestanden. Sie ging die ersten Schritte. Der Verband behinderte sie, aber sie biß die Zähne zusammen. Trotzdem konnte sie ein Humpeln nicht verhindern.
»Ich habe ihr noch eine Spritze gegeben«, erklärte der Arzt. »Gegen Wundstarrkrampf. Das würde dann noch viel schlimmer werden.« Er hob die Schultern. »Kennen Sie die Kellnerin näher?«
»Nein, ich bin heute zum erstenmal hier.«
»Schade, daß Sie einen so miesen Eindruck bekommen haben. Normalerweise ist es hier ganz nett.«
»Das glaube ich Ihnen.«
Ich kam noch einmal auf die Ratte zu sprechen. »Sie haben doch den Abdruck der Zähne gesehen, denke ich.«
»Sicher.«
»Wie empfanden Sie denn den Abstand? Standen sie weit auseinander?«
»Und ob, Mister. Wenn die Frau tatsächlich von einer Ratte gebissen wurde, dann war es ein verdammt großes Tier. Sie sollte auch zu einem Facharzt gehen. Das habe ich ihr geraten. Der Biß selbst oder die Abdrücke waren schon tief und groß.«
»Ja, das hatte ich mir gedacht.«
»Sie reden, als hätten Sie alles genau gesehen.«
»Vielleicht habe ich das auch. Leider nicht genau genug. Ob große Ratte oder kleiner Hund, Doktor. Auf eine gewisse Entfernung ist das nicht zu unterscheiden.«
»Das meine ich auch.«
Wir verabschiedeten uns voneinander. Mich hielt in diesem Biergarten nichts mehr. Bevor ich ihn verließ, schaute ich mich noch nach Ming um.
Sie stand dort, wo gezapft wurde. Der Kerl mit der Halbglatze war bei ihr.
Er redete schnell auf sie ein, und bei jedem Wort schien Ming kleiner zu werden.
In mir kochte es. Typen wie dieser sogenannte Geschäftsführer waren mir zuwider. Er sah mich erst nicht, so konnte ich hören, wie er Ming verbal traktierte und ihr erklärte, daß sie am nächsten Tag wieder anzutreten hätte, sonst würde es Putz geben.
»Aber wenn alles geschwollen ist und ich nicht richtig laufen kann, Mr. Clunter…«
»Dann bist du gefeuert!«
»Ja, Mr. Clunter.«
»Wegen eines Berufsunfalls?« fragte ich leise hinter Clunters Rücken.
Der Kerl schrak zusammen. Es sah so aus, als würde er in die Knie gehen, dann aber drehte er sich, starrte mir ins Gesicht und schnappte nach Luft.
»Haben Sie mich verstanden, Clunter? Das war ein Berufsunfall. Dagegen sind Sie doch versichert. Oder sollte Ming als Illegale bei Ihnen beschäftigt sein? Ohne Steuerkarte und ohne Aufenthaltsberechtigung?«
»Was geht Sie das an?«
»Indirekt schon etwas. Ich könnte natürlich meinen Kollegen Bescheid geben, damit diese Ihrem Schuppen mal einen Besuch abstatten und alles auf den Kopf stellen.«
»Wieso Kollegen?« Er wollte noch mehr sagen, aber der Blick auf meinen Ausweis stoppte ihn. Sein Gesicht wurde zur Fratze.
»Eine Woche, meinte der Arzt, soll Ming nicht arbeiten. Sie wird sich daran halten. Sie werden ihr auch Lohnersatz zahlen, Mr. Clunter. Ich werde mich selbst danach erkundigen, ob Sie sich auch daran gehalten haben. Ist das
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