Die Rattenhexe
Oder sie würde mich finden. Schließlich hatte sie mich angerufen, nicht ich sie.
Diese Gedanken beschäftigten mich, als ich durch das enge Treppenhaus ging.
Graue Wände, aber auch mit allerlei Schmierereien bedeckt. Graue Stufen. In der Mitte leicht eingedellt. Abfall in den Ecken. Papier, Dosen und vor sich hin gammelnde Essensreste. Das war schon ein kleines Paradies für die pelzigen Nager.
Ich sah keine. Dafür entdeckte ich zwei Menschen, die in einer Zwischenetage hockten, die Wand als Stütze nahmen und vor sich hindösten. Sie schauten nicht hoch, als ich über ihre ausgestreckten Beine hinwegschritt.
Noch eine Etage, dann war ich da.
Mein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Ich kannte den Grund nicht, denn äußerlich hatte sich nichts verändert.
Der gleiche Dreck, der gleiche Geruch, vielleicht noch etwas dumpfer, auch das Licht kämpfte müde gegen das mich umgebende Grau der Betonwände an.
Vor mir sah ich die Tür mit der aufgemalten Zahl. Der Eingang war ebenfalls feuerfest. Das Eisen zeigte schon Rost an den Angeln und auf der Frontseite.
Ich zog die Tür auf. Der Knauf klebte, als wäre er mit Leim bepinselt worden.
Die Decke in der letzten Etage kam mir noch niedriger vor. Sie zeigte eine blasse Farbe. Früher war sie mal weiß gewesen. Im Laufe der Zeit hatten sich Dreck und Staub abgesetzt. Jetzt sah sie aus wie ein schmutziges Tuch.
Weit entfernt von mir an der rechten Seite wurde ein Wagen gestartet.
Der Motor klang überlaut. Ebenso wie das Quietschen der Reifen auf dem glatten Boden. Im Tunnel der Auffahrt versackte das Geräusch, und mich umgab eine normale, aber schon bedrückende Stille.
Die Autos standen dicht an dicht. Jede Lücke war mit einer Blechkarosse vollgestopft.
Um den Rover zu erreichen, mußte ich mich nach links wenden. Hinter einem viereckigen Pfeiler versteckte sich noch ein Gebiet mit sechs Parktaschen. Drei auf jeder Seite.
Der Untergrund war im Laufe der Zeit sogar glatt geworden. Er schimmerte im Licht der Deckenlampen.
Ich war allein und schwitzte. Es lag nicht allein an dieser stickigen Luft.
Auch mit meinem Gefühl stimmte etwas nicht. Die innere Spannung ließ sich einfach nicht leugnen.
Ich passierte den Pfeiler. Mein Blick war frei. Sechs Autos füllten die entsprechende Anzahl der Parktaschen. Ich sah auch meinen dunklen Rover.
Und ich sah noch mehr.
Auf seinem Dach saß eine Ratte. Sie hatte sich gedreht, putzte sich, wirkte sogar niedlich und starrte mich aus den kleinen Glitzeraugen an.
Das war leider nicht alles.
Denn auf den anderen fünf Autodächern hatten es sich die Ratten ebenfalls bequem gemacht…
***
Nun bin ich nicht unbedingt ein ängstlicher Mensch, dieser Anblick allerdings ging mir schon unter die Haut. Schweiß bildete sich auf meinen Handflächen. Ich wischte ihn an den Hosenbeinen ab.
Sechs Ratten! Verdammt auch! Hatten sie auf mich gewartet? So wie sie sich verteilt hatten, wies alles darauf hin. Es kam mir vor, als hätten sie nur auf einen Befehl reagiert. Ich konnte mir vorstellen, daß diesen Befehl nur eine bestimmte Person gegeben hatte, aber von Senta de Fries sah ich nichts.
Möglicherweise hockte sie versteckt in irgendeinem der parkenden Wagen und wartete darauf, wie ich reagieren würde, um sich dabei ins Fäustchen zu lachen.
Ich tat erst einmal nichts. Auf dem Fleck blieb ich stehen. Meine Augen befanden sich schon in Bewegung. Ich suchte nach anderen Tieren, fand aber keine, und das wiederum beruhigte mich auf eine gewisse Weise.
Meine Sinne waren sensibilisiert worden. Auf meiner Haut an der Stirn juckte es. Ich nahm die Gerüche deutlicher wahr als sonst. Ich spürte auch das Ziehen in meinem Magen. Zum Glück blieb der Kopf frei. Ich konnte nachdenken.
Ratten. Eine Rattenkönigin. Okay, das alles hatte es schon mal gegeben, aber in einem anderen Land, und dieser Fall lag ziemlich lange zurück. Da war eine Frau halb Ratte und halb Mensch gewesen. Da hatte ich auch böse Angriffe erlebt. Diese Ratten hier verhielten sich spitzfindiger und waren sicherlich nicht weniger gefährlich.
Sie wollten etwas von mir, aber sie taten nichts, weil sie noch nicht den Befehl bekommen hatten. So hockten sie da, warteten ab, und alle sechs Vierbeiner schauten mich an.
Für mich gab es nur zwei Alternativen. Entweder normal in den Wagen zu steigen oder den Rückzug anzutreten.
Fliehen wollte ich nicht. Wer immer sie geschickt hatte, er rechnete sicherlich damit, daß ich mich diesen Tieren stellte, und so
Weitere Kostenlose Bücher