Die Rattenhexe
hob die Schultern. »Was wollen Sie? Ich bin nun mal ein neugieriger Mensch, der immer gern weiß, wer ihn so unverhofft besucht. Sie verstehen, was ich meine?«
»Sollte ich das denn?«
»Bestimmt. Außerdem mag ich es nicht, wenn man mich mit einer Waffe bedroht und mir sogar erklärt, daß man mich töten will. Das ist nicht mein Fall.«
Er leckte über seine Lippen. Flach grinste er mich an. »Aber Sie leben doch, Sinclair.«
»Das werde ich auch weiterhin. Außerdem freue ich mich auf Sentas Auftritt. Ich werde ihn bestimmt genießen. Wann ist es denn soweit?«
Er schaute auf seine Uhr. Das Zifferblatt war von Diamanten umrahmt.
»In einigen Minuten. Sie ist immer pünktlich.«
»Das glaube ich Ihnen.«
»Und was haben Sie sonst noch vor?«
»Ich werde noch einen Drink nehmen.«
»Wie schön für Sie.«
»Dann möchte ich hier noch jemanden wiedersehen.«
»Tatsächlich? Wen denn?«
»Freund Slatko, denn ich möchte mich noch für seinen Besuch sehr herzlich bedanken.«
Holland rutschte vom Hocker, blieb neben mir stehen und klopfte mir auf die Schulter. »Vielleicht werden Sie ihn sogar sehen, Sinclair. Alles ist möglich.« Mit dieser schwammigen Antwort ließ er mich allein.
Ich trank zunächst einen Schluck Bier, das nicht mehr so kalt war, aber trotzdem schmeckte. Holland sah ich nicht mehr. Er war irgendwo im Hintergrund verschwunden. Ich ging davon aus, daß entweder er oder Slatko mich beobachteten, aber da stand ich drüber. Zu einem Zusammentreffen würde es noch früh genug kommen. Etwas anderes war wichtiger, weil ich erfahren wollte, ob Suko und Shao mittlerweile eingetroffen waren.
Um die Bar gut überblicken zu können, mußte ich mich auf dem Hocker drehen. Er selbst war im Boden verankert, und so rutschte ich herum.
Das Gespräch mit Holland hatte mich von den übrigen Dingen abgelenkt, und ich konnte erkennen, daß jeder Tisch besetzt war. Wer sich diese Show ansah, der brauchte Nerven und gehörte nicht eben zu den weiblichen Personen, die doch sensibler waren, als die Männer. So hockten auch sie an den Tischen, tranken, ließen sich auf eine bestimmt Art und Weise von den Girls verwöhnen und schon richtig für die große Show einheizen.
Shao gehörte zu den wenigen Frauen, die sich die Stripshow freiwillig ansahen. Zusammen mit Suko saß sie an einem Tisch am Rand der Fläche, wo sie einen guten Überblick hatten.
Als ich sah, wie Suko nickte, wußte ich, daß mich die beiden unter Kontrolle hielten.
Das war gut. Da fühlte ich mich sicher. Shao und Suko waren so etwas wie eine Rückendeckung.
Jake Holland hatte davon gesprochen, daß der Auftritt in wenigen Minuten stattfinden würde, und er hatte nicht gelogen. Plötzlich veränderte sich die Musik. Gleichzeitig verlor das Licht einen Teil seiner Kraft oder veränderte sich, denn der blaue Schein konzentrierte sich jetzt einzig und allein auf den Glaskasten. Er drang durch die Seiten, erfüllte das Innere wie zitterndes Wasser, und aus den Lautsprechern ertönten nicht mehr die schrillen, schon schreienden Laute, sondern eine ölig wirkende Männerstimme. Jake Holland machte seine Ansage. »Ladies and Gentlemen, der Höhepunkt Ihres Besuchs steht dicht bevor. Sie werden etwas erleben, was Sie noch nie gesehen haben – den Tanz mit den Ratten. Mensch und Tier – Frau und Ratte, eine einmalige Verbindung, und ich weiß, daß Sie begeistert sein werden. Was sind Ratten? Widerliche, bösartige Tiere – so denkt man im allgemeinen. Aber das ist falsch. Ratten sind intelligente Wesen. Ratten können lieben und hassen. Sie können töten und zärtlich sein, und Sie, verehrtes Publikum werden erleben, wie man sie führt, wie man mit ihnen umgeht, wie sie auch einen Menschen lieben. Seien Sie gespannt. Erwarten Sie mit mir zusammen Senta de Fries«, seine Stimme erhob sich, »die Rattenhexe…«
Stille. Beinahe schon eine gewisse Fassungslosigkeit. Die Gäste hockten wie angewurzelt auf ihren Plätzen. Niemand wußte so recht, ob er Beifall spenden sollte oder nicht. Es konnte sich keiner entscheiden, deshalb blieb es ruhig.
Sie kam aus dem Dunkel wie eine unheimliche Gestalt. An der Spitze lief Senta de Fries, und die Ratten liefen hinter ihr her, als wäre sie der Rattenfänger von Hameln…
***
Das war ein grauer, ein zuckender, ein wandernder Teppich, den sie hinter sich herzog. Ihre Schritte waren nicht zu hören, aber das Trappeln der zahlreichen Rattenpfoten bildete eine unheimliche Untermalung.
Sie schwang beim
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