Die Rattenhexe
er mußte es tun.
Langsam. Immer darauf achtend, nicht noch aus dem Dunkel der Nische hervor attackiert zu werden. Dem verdammten Rattenpack traute er alles zu, einfach alles.
Er hatte sich gedreht.
Der erste Blick nach vorn.
Und plötzlich brüllte er auf. Sie alle waren da. Sie alle hatten sich vor dieser Nische versammelt. Sie hockten auf der Treppe dicht gedrängt.
Noch unter Wasser, auch über ihm, und die unzähligen schimmernden Augenpaare glotzten ihn an.
Ratten, Ratten, Ratten…
***
Die Tiere verteilten sich, ohne daß jemand etwas unternehmen konnte oder es auch richtig begriff. Es war keine kompakte, zuckende und wirbelnde Flut. Die Ratten aus dem Käfig hatten jetzt Platz genug, sie hatten sich aufgeteilt. Sie huschten unter die Tische, unter die Stühle, und sie sprangen auch in die Höhe. So sah ich einen Körper, der zielgenau auf Shaos Schoß landete.
Sie schrie nicht, auch die anderen Gäste hielten sich zurück, der Schock hatte sie gelähmt, aber Suko packte die Ratte mit der linken Hand und versetzte ihr einen Handkantenschlag, der ihr das Genick brach.
Ich schaute auf Senta und Jake. Sie hielt ihn noch immer fest. Sie schaute ihn auch an, aber ich wußte, daß die Stunde der Abrechnung gekommen war.
Jake schrie als erster. Er zuckte dabei. Und das war das Signal. In seine Hand hatte sich eine Ratte verbissen, die in die Höhe gesprungen war, und sein Schrei verwandelte die Bar in eine Hölle. Den Anwesenden, ob männlich oder weiblich, war eines gemeinsam.
Angst!
Da flogen Stühle zurück. Da kippten Tische. Getränke landeten auf dem Boden. Glas splitterte, und in diesem Chaos fühlten sich Sentas Ratten pudelwohl. Sie nutzten es aus, daß die Menschen wehrlos waren. Ein Animiermädchen taumelte in meine Richtung. Sie schrie ununterbrochen, denn eine Ratte hockte auf ihrer Schulter und hatte sich im Hals festgebissen.
Ich vergaß meinen Plan, mich um Senta und Jake zu kümmern. Das Mädchen war jetzt wichtiger. Mit einem Sprung war ich bei ihm und riß ihr mit beiden Händen die Ratte herunter.
An der Schnauze klebten Blut und Hautreste. Es zuckte in meinem Griff.
Wuchtig schleuderte ich den Körper gegen die Decke, darauf hoffend, daß die Knochen gebrochen waren.
Die Kleine taumelte an mir vorbei. Ich wollte mich umdrehen und bekam einen Stoß in den Rücken, der mich wieder nach vorn schleuderte. Ein dicker Mann hastete an mir vorbei. Er blutete im Gesicht und schrie immer wieder nach seinem Auge.
Ich fing mich.
Suko und Shao kamen sicherlich allein zurecht. Sie würden die Nerven bewahren. Ich drängte mich gegen die Theke. Hinter ihr stand schreckensbleich die Bedienung und schaute ebenso auf das Chaos wie ich.
Die Bar hatte sich in eine blaue Hölle verwandelt, denn über allem lag noch dieser blaue Schein. Mal zuckend, mal normal. Er schwebte düster, er verzerrte, gab dieser normalen Welt ein künstliches, schon filmisch hergestelltes Flair.
Die Ratten fühlten sich wohl.
Sie huschten überall hin. Sie trippelten über den Boden. Sie sprangen hoch, landeten auf den Tischen oder Tischkanten, stießen sich dort wieder ab und suchten sich neue Ziele aus, denn sie wuchteten ihre Körper nach vorn, und sie fanden immer wieder ihre Ziele.
Wie pelzige Ovale klatschten sie gegen die Körper der Gäste und bissen sich fest. Da nutzte es auch nichts, daß die Menschen ihre Arme in die Höhe gerissen hatten, die Ratten waren stärker. Sie kämpften sich voran, ihre Gier nach Blut war einfach nicht zu stoppen. Mir kamen sie vor wie fliegende Mörder.
Die Menschen suchten den Ausgang. Alle auf einmal wollten sie raus.
Das klappte natürlich nicht. Am Durchgang in den Garderobenraum entstand ein dichtes Gedränge. In das hinein sprangen die Ratten, denn es war die ideale Beute.
Ich wollte helfen und eingreifen, aber ich wußte nicht, wo ich anfangen sollte.
Hin und wieder sah ich Suko und Shao. Sie kämpften beide gegen die Nager. Suko schlug mit der Handkante zu. Shao hatte sich ein Stuhlbein besorgt und hielt sich die Rattenpest damit vom Leib. Ich wunderte mich, wie hungrig die Tiere waren. Normal kam es mir nicht vor, dahinter steckte eine andere Kraft.
Sie hieß Senta de Fries!
Und sie war es auch, an die ich mich halten mußte. Wenn ich sie hatte, dann…
Auf mich huschte eine der Ratten zu. Ich sah sie im letzten Augenblick.
Sie war unter irgendeinem Stuhl hervorgekrochen und rannte in Schlangenlinien auf mich zu.
Ich wußte nicht, ob sie springen oder wie eine
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