Die Rebellen von Irland
gesprochen, wohin Samuel gehen sollte. Viele Familien, die sie kannten, hatten sich in New England niedergelassen, andere in Delaware, New York oder sogar tief im Süden Carolinas. Siedler aus Ulster gab es an der gesamten Ostküste. Doch Samuel hatte zu verstehen gegeben, dass er Philadelphia bevorzuge.
»Willst du immer noch nach Philadelphia?«, erkundigte sich nun John. »Dort führen doch Quäker das Regiment.«
»Es gibt dort auch Presbyterianer«, rief ihm Samuel in Erinnerung.
Henry kam ihm zu Hilfe.
»Philadelphia ist eine gute Wahl«, sagte er. »Die Stadt hat Zukunft. Und sie hat viele Reize.« Seiner Aufmerksamkeit war nicht entgangen, dass eine ihnen bekannte Familie, die vor Monaten dorthin ausgewandert war, eine sehr schöne Tochter hatte. Unbemerkt von John, zwinkerte er seinem jüngeren Bruder zu. »Aber ich werde dich vermissen. Und falls du irgendwann deine Meinung ändern und zurückkommen solltest, würde ich mich freuen, dich wieder hier zu haben.«
Samuel grinste. Wenn er Henry insgeheim seinem älteren Bruder John vorzog, so war das verständlich. Er arbeitete ebenso hart wie John, sah die Dinge aber gelassener. Und er war abenteuerlustiger. Die Frauen mochten ihn. Samuel kannte ein Dutzend Mädchen, die Henry mit Freuden geheiratet hätten, und mehrere Male hatte er schon gedacht, dass sein Bruder sich eine zur Frau nehmen würde. Doch irgendetwas hielt Henry davon ab. Es war, als hätte er sich ein Ziel gesteckt. Keiner wusste, worin dieses Ziel bestand, aber offenbar wollte er erst eine Familie gründen, wenn er es erreicht hatte.
»Da ihr beide hier seid, braucht ihr mich eigentlich nicht«, bemerkte Samuel. »Aber wenn ich erst in Philadelphia bin, hoffe ich, dass wir über den Atlantik hinweg miteinander Geschäfte abwickeln können.«
Henry nickte. Ohne Samuel etwas davon zu sagen, hatten er und John bereits vereinbart, ihm kostenlos eine Schiffsladung Waren zu schicken, um ihm den Neuanfang zu erleichtern.
»Ich muss bald in meine Wohnung zurück«, sagte Samuel. »Vor so einer Reise muss man so viel erledigen.«
»Dann lasst uns jetzt gemeinsam beten«, sagte John. »Bitten wir um Gottes Segen für deine Überfahrt und alles, was du in die Hand nehmen wirst.«
Und so beteten die drei Brüder eine Weile zusammen in stiller Zuneigung, so wie sie es gelernt hatten.
Nachdem Samuel fortgegangen war, blieb Henry bei seinem Bruder.
***
Es war still. Eine Zeit lang sprach keiner ein Wort. Henry beobachtete seinen Bruder nachdenklich. Obwohl John nie seine Gefühle zeigte, war ihm anzusehen, dass er melancholisch gestimmt war. Vielleicht hatte er insgeheim gehofft, dass Samuel doch nicht gehen würde.
Den ganzen Tag über hatte er sich gefragt, ob er seinem Bruder auch gleich die andere unangenehme Neuigkeit mitteilen oder ob er noch damit warten sollte. Nach sorgfältigem Abwägen kam er zu dem Schluss, dass es besser war, wenn er ihm Gelegenheit gab, alle schlechten Nachrichten auf einmal zu verdauen.
»Wir werden uns überlegen müssen«, sagte er schließlich, »wie wir das Geschäft weiterführen, wenn Sam fort ist.«
»Ja.« John nickte.
»Ich glaube, dass Dublin für uns wichtig wird.«
Der Leinenhandel wuchs nicht nur in Ulster rapide, sondern auch unten in Leinster. Die neue Linen Hall in Dublin war bereits ein blühendes Handelszentrum, daher hatte Henry in den letzten Monaten die Hauptstadt mehrmals besucht. »Mittlerweile«, so hatte er berichtet, »wird in Dublin mehr Leinen verschifft als in Belfast.« Und daran anknüpfend, sagte er jetzt: »Ich finde, wir sollten da unten eine zweite Niederlassung eröffnen. Du hast hier alles so gut im Griff, dass du mich im Grunde nicht mehr brauchst, John. Aber wenn ich nach Dublin ginge, könnten wir unser Geschäft beträchtlich erweitern.«
Das war völlig richtig, und so brauchte nicht ausgesprochen zu werden, dass Henry ohne die Gegenwart Samuels, der wie ein Prellbock zwischen ihnen stand, nur schwer mit dem ernsten und bisweilen herrischen Bruder auskommen würde.
»Dann willst du mich also auch verlassen.« John nickte bedächtig.
»Doch nicht verlassen, John.«
»An deinen Worten ist viel Wahres dran«, fuhr John ruhig fort. »Das bestreite ich gar nicht.« Es war offensichtlich, dass er nicht enttäuscht war. Er wusste sehr wohl, dass sein Bruder bei aller Gutherzigkeit auch ein ehrgeiziger Mensch war, der über denselben Unternehmungsgeist verfügte wie er selbst und dem es daher lästig sein musste, Befehle
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