Die Rebellen von Irland
es mir, hier an diesem Brunnen, bei St. Marnock.«
»Ich schwöre es, Vater. Bei St. Marnock.«
»Gut.« Martin Walsh nickte und schenkte seinem Sohn ein liebevolles Lächeln. »Gut, dass du geschworen hast. Ich möchte, dass du den Tag nie vergisst, an dem dein Vater dich zu dem heiligen Brunnen des St. Marnock mitgenommen hat. Wirst du dich später auch an diesen Tag erinnern, Orlando?«
»Ja, Vater.«
»Dein ganzes Leben lang. Komm.« Den Arm um die Schultern seines Sohnes gelegt, führte Walsh seinen Sohn den Pfad durch die Dünen entlang zum breiten Sandstrand. Es war Ebbe, und der Strand erstreckte sich weit ins Meer hinein, das in der Sonne glitzerte.
Zu ihrer Rechten reichte der fahle Streifen Sand bis hin zum Ben of Howth, dessen Hügel hoch aus dem Wasser aufragte. Vor ihm lag die kleine Insel Ireland’s Eye wie ein Schiff vor Anker. In der Gegenrichtung, weit entfernt und am nördlichen Horizont nur undeutlich sichtbar, erhoben sich die Morne-Berge, die Wächter von Ulster. Sie schienen zu schlafen.
Orlando sah erst zu seinem Vater auf, der gedankenverloren aufs Meer hinausstarrte, und dann auf die Muschelscherben zu seinen Füßen. Eine Wolke schob sich langsam vor die Sonne, und der Glanz des Meeres erlosch.
»Ein Zeitalter geht zu Ende, Orlando.« Die Stimme seines Vaters war nur noch ein leises Murmeln. Dann drückte seine Hand sanft die Schulter seines Sohnes. »Erinnere dich an dein Versprechen.«
***
An einem klammen Wintertag Anfang des folgenden Jahres erhielt Anne Walsh in Bordeaux einen Brief von ihrem Vater.
***
Meine liebste Tochter,
Du musst jetzt stark sein, denn ich habe Dir sehr traurige Neuigkeiten mitzuteilen. Vor zwei Wochen stach Patrick Smith vom Hafen von Cork aus mit dem Handelsschiff in See, mit dem er eine Woche vorher dort angelegt hatte. An dem Morgen, als sie die Anker lichteten, war die See ruhig. Aber am selben Tag erhob sich gegen Abend ein schwerer Sturm, der das Schiff an die irische Küste zurücktrieb, es überwältigte und gegen die Klippen schleuderte. Es ist meine traurige Pflicht, Dir mitzuteilen, dass alle an Bord bei diesem Unglück ihr Leben verloren haben. Meine liebste Anne, ich weiß, wie schrecklich diese Nachricht für Dich sein muss. Ich trauere mit Dir und versichere Dir, dass meine Gedanken immer bei Dir weilen.
Dein Dich liebender Vater.
Es war vorbei. Ihr Liebster war fortgegangen und nun für immer verloren. Es gab keine Hoffnung mehr für sie. Anne brach in Tränen aus und weinte mehr als eine Stunde lang bitterlich.
Nach dem ersten Schock und der ersten Trauer überfiel sie Wut. Nicht auf ihren Vater – dies war nicht seine Schuld –, sondern auf Lawrence. Er war es gewesen, dachte sie bitter. Der intrigante ältere Bruder, der sich mit seiner kalten Vernunft immer einmischen musste. Der selbstgerechte, hinterlistige Lawrence hatte Patrick auf dem Gewissen. Wenn Lawrence nicht gewesen wäre, hätte Patrick nicht fortgehen müssen, wäre niemals in Cork gewesen und wäre nicht ertrunken. Sie trocknete ihre Tränen und verfluchte in ohnmächtiger Wut und Trauer ihren Bruder. Wäre er doch nur an Patricks Stelle gestorben. Niemandem hätte er wirklich gefehlt, nicht einmal seinem eigenen Vater.
Der Regen lief in Strömen an dem Glasfenster herab. Sie starrte in das eintönige Grau und spürte nur endlose Verzweiflung. Mochte mit ihr geschehen, was wolle. Es kümmerte sie nicht mehr.
* 1614 *
Tadgh O’Byrne hatte die Nase vorn. Das wusste er, weil er alles genau beobachtet hatte. »Bei dieser Totenwache wurde viel getrunken«, sagte er seiner Frau. »Aber ich habe die Nase vorn. Ich bin ganz vorne. Ich habe eben einen Kopf, der so hart ist wie ein Fels.«
»Das hast du«, sagte sie.
»Ich bin ein Berg«, verkündete er, obwohl er ziemlich klein war und es auch an Kraft mit den meisten Männern nicht aufnehmen konnte.
Tadgh, manchmal auch Tadc geschrieben, war kein ungewöhnlicher Name. Die Engländer machten oft Teague daraus, obwohl die Aussprache eigentlich an »Teig« erinnerte. »Es gab große Männer, die den Namen Tadgh trugen«, sagte er oft. »Mächtige Clanführer.« Und das stimmte auch. Das Problem war nur, dass Tadgh nicht zu ihnen gehörte, auch wenn er glaubte, dass er dazugehören müsste.
Und zwar statt Brian O’Byrne.
Vor sechzig Jahren war Sean O’Byrne von Rathconan gestorben. Die Nachfolge hatte sein Sohn Seamus angetreten. Aber als es daranging, einen Nachfolger für Seamus zu bestimmen, stimmten alle
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