Die Rebellen von Irland
Familie hatte seinen Kindern zweifellos genützt. Sheridan war eine einflussreiche Persönlichkeit in Dublin, sein Bruder Quinlan war das Gleiche in Wicklow eine Nummer kleiner. Sheridan Smith interessierte sich für das Theater, die Künste und die Politik. »Mir steht jede Tür in Dublin offen«, pflegte er zu sagen. Natürlich sagte er es nicht laut, aber er freute sich, wenn andere das auch fanden.
Er hatte gut geheiratet – seine Frau gehörte dem reichsten Zweig der MacGowans an – und wohnte zwar nicht im größten, aber doch in einem sehr bequemen Haus auf der Nordseite der Wellington Road. Dort gab es nur gute Häuser.
Er ging in Gedanken noch einmal rasch die Gäste durch, die er erwartete. Da war zunächst einmal seine Mutter, Maureen Smith. Sie war inzwischen seit fast zwanzig Jahren verwitwet, hielt sich aber immer noch aufrecht, steckte voller Unternehmungslust und besaß einen wachen Verstand. Weiter Father Brendan MacGowan, ein Cousin seiner Frau, der einen jungen Mann mitbrachte, für den Sheridan etwas tun sollte. Auch den jungen Gogarty hatte Sheridan eingeladen, einen lebhaften Burschen, der es noch weit bringen würde. Ferner einen Gentleman, der immer für eine anregende Unterhaltung gut war, und schließlich den Grafen und die Gräfin, »die adlige Seite meiner Familie«, wie Sheridan mit einem Lächeln zu seiner Frau sagte.
Es musste die Mountwalshs hart getroffen haben, dass der jüngste Enkel des alten Earl sich in Stephen Smiths Tochter Mary verliebt hatte. Doch hatten sie sich sehr großzügig gezeigt und die Hochzeit nicht verhindert. Sheridan war damals noch klein gewesen. Er hatte sich mit Marys Tochter Louisa immer gut verstanden. Und Louisa war für ihn noch interessanter geworden, als sie einen überaus vornehmen älteren Herrn geheiratet hatte, den Grafen Birne. Louisa und der Graf lebten jetzt zu gleichen Teilen in der Grafschaft Meath, wo sie sich ein Anwesen gekauft hatten, und in Paris. Gegenwärtig hielten sie sich einige Tage in Dublin auf und hatten versprochen, zum Lunch zu kommen und ihre kleine Tochter mitzubringen.
Hätte er deshalb vornehmere Gäste einladen sollen? Keineswegs, sagte er sich, es war ein Familientreffen. Er führte ein gutbürgerliches Haus und brauchte sich dessen nicht zu schämen. Außerdem wusste er, dass der alte Adel mit seinem Grundbesitz zwar ungeheures Ansehen genoss, dass aber in Wirklichkeit Leute wie er selbst in zunehmendem Maße die Geschicke Irlands bestimmten. Sollte in dem Grafen je der Wunsch erwachen, eine Rolle im öffentlichen Leben Irlands zu spielen – allerdings deutete bisher nichts darauf hin –, dann, dachte Sheridan, wäre er wahrscheinlich froh, mit mir verwandt zu sein.
Durch den Nebel gedämpft hörte er Klingel und Hupe, und im nächsten Augenblick fuhr sein erster Gast munter strampelnd und eine halbe Stunde zu früh auf einem Fahrrad die Straße entlang.
***
Willy O’Byrne hatte es eilig. Er hatte eine kleine Besorgung erledigt, doch durfte er Father Brendan MacGowan und mit ihm womöglich seine Zukunft nicht verpassen. »Sei pünktlich«, hatte der Priester gesagt. »Ich werde nicht auf dich warten.«
Die Montgomery Street verlief im schiefen Winkel nur wenige hundert Meter hinter dem im palladianischen Stil gebauten Zollhaus am Nordufer des Liffey. Während das georgianische Dublin anmutig über das Wasser in Richtung Trinity College blickte, pulsierte in seinem Rücken, einer geselligen Kloake gleich, das andere Leben der Stadt: die »Monto« – die Straße seiner Sünden und Scham, die Straße der Huren. An diesem Sonntagvormittag war sie zur Abwechslung einmal ruhig, fast menschenleer. Willy tauchte in die Abbey Street ein und gelangte auf die prächtige Sackville Street, die wie im Triumphzug vom Fluss nach Norden führte. Er setzte den Weg nach Süden fort und überquerte den Liffey. Er hätte den Weg mit verbundenen Augen gefunden.
Weißer Nebel hatte sich über die Stadt gesenkt, hüllte Willy ein und setzte sich in winzigen Tröpfchen an ihm fest. Man konnte ihm nicht entkommen.
Der junge Mann eilte am Eingang des Trinity College vorbei, ohne neugierig hineinzublicken, da er es sowieso nicht besuchen würde, und ging weiter nach Osten. Kurz nach der Abzweigung der Dawson Street sah er den Buchladen mit den geschlossenen Fensterläden, wo er den Priester treffen sollte.
Er klopfte wie verabredet an einen Fensterladen. Kurz darauf ging neben ihm eine Tür auf, und Father Brendan MacGowan trat
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