Die Rebellen von Irland
befunden.
Man sah Graf Birne an, dass er gesundheitlich angeschlagen war. Er stützte sich auf einen Spazierstock aus Ebenholz. Er war groß und mager und trug eines der neuen zweireihigen Jacketts und Hosen mit Aufschlägen – die neueste Mode, die sogar im Kildare Street Club, dem der Graf angehörte, noch kaum zu sehen war. Die schwarzen, grau melierten Haare auf seinem vornehmen Kopf waren fast mittig gescheitelt. Dazu trug er einen genau in der Mitte geteilten und zur Seite gebürsteten Schnurrbart. Seine Nase war etwas größer, als man bei einer so sorgfältig gepflegten Erscheinung erwartet hätte. In der rechten Hand hielt er nachlässig zwischen dem zweiten und dritten Finger eine türkische Zigarette. Seine braunen, melancholischen Augen blickten wohlerzogen auf sein jeweiliges Gegenüber – in diesem Fall den jungen Gogarty, der von einer solchen Persönlichkeit keineswegs eingeschüchtert schien. Auf Gogartys Frage nach der Herkunft seines Titels erwiderte der Graf ruhig: »Ich bin ein Graf des Heiligen Römischen Reiches.«
Diese Antwort tröstete Willy ein wenig. Wenigstens war diese ehrfurchtgebietende Gestalt ein Katholik.
Willys Gesprächspartnerin war die alte Mrs Maureen Smith, mit der ihm die Konversation leicht fiel. Kurz darauf sprach Father MacGowan mit dem Grafen, und Gogarty trat zu Willy und plauderte freundlich mit ihm. Willy erfuhr, dass er Arzt werden wollte. Gogarty war nur wenig älter als er, doch merkte Willy sofort, was für Vorteile er aufgrund seiner Herkunft im Vergleich zum ihm genoss. Er bewegte sich mit großer Leichtigkeit und Anmut in dieser feinen Gesellschaft.
Mehrere Kinder tauchten auf. Die Gräfin, eine elegante Frau, war mit ihrer Tochter nach oben verschwunden, denn der Tochter war offenbar kurz nach ihrer Ankunft übel geworden.
Beim sonntäglichen Familienmahl der Smiths ging es sehr entspannt zu. Die Kinder aßen mit den Erwachsenen, durften aber früher aufstehen. Erst dann wandten die Gespräche sich interessanteren Dingen zu.
Willy stellte zu seiner Überraschung fest, dass der Graf, statt Fragen zu seiner eigenen erlauchten Person zu beantworten, die Meinung der Anwesenden zu verschiedenen Themen hören wollte. »Ich habe in den vergangenen Jahren zu wenig Zeit in Irland verbracht«, erklärte er. »Jedes Mal, wenn ich hierherkomme, wächst meine Verwirrung.« Er lächelte. »Vor einigen Jahren war viel von irischer Selbstverwaltung die Rede, in den letzten zehn dagegen weniger. Doch jetzt stelle ich fest, dass John Redmond, der Parnells Platz einnimmt und im britischen Parlament nicht weniger als achtzig Parlamentarier anführt, wieder auf Selbstverwaltung hofft. Außerdem hörte man früher von Extremisten, die bereit waren, die Briten mit Gewalt zu vertreiben. Was ist aus ihnen geworden? Gibt es sie nicht mehr? Die britische Regierung dagegen scheint inzwischen alles zu tun, die Macht der Protestanten zu untergraben. Was hat das zu bedeuten? Ist der Geist Parnells aus dem Grab auferstanden? Sind wir jetzt Briten oder Iren? Protestanten oder Katholiken?« Er ließ den Blick um den Tisch wandern. »Sagen Sie mir, Father MacGowan, wo steht die Kirche – meine Kirche?«
»Das kann ich Ihnen genau sagen«, erwiderte der Priester mit einem Lächeln.
»Was angesichts seiner jesuitischen Neigungen heißt, dass er Ihnen gar nichts sagen wird«, fügte Sheridan Smith hinzu und lächelte ebenfalls.
Der Priester überging seinen Einwurf. »Viele Priester und sogar einige Bischöfe erinnern sich noch an die Aufbruchsstimmung zur Zeit Daniel O’Connells und neigen dazu, das Streben nach Selbstverwaltung zu unterstützen.«
»Obwohl sie Charles Stewart Parnell vernichtet haben«, erinnerte sein Gastgeber ihn.
»Sie konnten seinen Ehebruch nicht ignorieren, nachdem er in aller Munde war«, entgegnete Father MacGowan ruhig. Er nahm einen Schluck Wein. »Aber darum geht es nicht. Entscheidend war und ist, dass Kardinal Cullen sich mit seiner Meinung – oder besser seiner unbezwingbaren Persönlichkeit – durchsetzen konnte. Natürlich hat er die Extremisten verurteilt, darüber brauchen wir nicht zu streiten. Aber er hat nicht zugelassen, dass die irische Kirche sich politisch engagiert, für welche Seite auch immer. Sie werden sich erinnern: Als die britische Regierung anbot, die katholische Kirche wie die Kirche von Irland und die Presbyterianer finanziell zu unterstützen, wollte er das Geld nicht nehmen. Und wenn man sich die vielen Kirchen ansieht, die
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